Bárbara Luci Carvalho
Wir sind zu Besuch bei Bárbara Luci Carvalho auf dem Protagon-Gelände in Frankfurt Fechenheim, Sitz des antagon Theaterkollektivs. antagon ist nicht nur eine Arbeits-, sondern auch eine Lebensgemeinschaft: Zwischen Probebühne, Büros und Gemeinschaftsküche wohnen zurzeit 25 Erwachsene und vier Kinder.
Auch während der Corona-Pandemie können wir weiter proben, produzieren und organisieren. Das ist nur möglich, weil wir hier in einem Kollektiv zusammen leben und arbeiten.
Bárbara Luci Carvalho ist Performerin, Tänzerin und Theaterpädagogin. Vor knapp 12 Jahren hat Bárbara in Brasilien an einem Workshop von antagon teilgenommen. Nach dem Studium der Theaterpädagogik vermisste sie die Erfahrung in in der Gruppe und das Arbeiten in einer Theatergemeinschaft. So fiel die Entscheidung, sich dem Theaterkollektiv anzuschließen und nach Frankfurt zu kommen. Zunächst hat sie für antagon als Schauspielerin gearbeitet und Schauspielunterrricht gegeben. Nach vielen gemeinsamen Projekten und Erfahrungen performt Bárbara heute in fast allen Theaterproduktionen, ist Teil der Organisation und in viele Veranstaltungen eingebunden. Vor fünf Jahren hat sie das Internationale Frauen*Theater-Festival ins Leben gerufen dessen künstlerische Leiterin sie ist.
Nach dem Abschluss meines Studiums in Brasilien wollte ich mehr Freiheit, mehr mit Theater und Tanz experimentieren. In Frankfurt angekommen habe ich bei null angefangen.
In der Auseinandersetzung mit ihrer neuen Lebensrealität in Frankfurt ist sie auf Themen gestoßen, die es zu vertiefen galt: Machtverhältnisse, die sich in Diskriminierung, Rassismus und Sexismus ausdrücken. Bárbara hat sich außerdem für ein Zweitstudium entschieden. Am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft Gießen macht sie derzeit im internationalen Studiengang für Choreografie und Performance ihren Master. “In meinem Studium geht es darum, neue experimentelle Formen von Tanz, Theater und Körperarbeit zu finden und interdisziplinär zu arbeiten. In diesem Rahmen forsche ich zu zeitgenössischem afrikanischen Tanz im politischen und ästhetischen Diskurs. Hier in Europa begreife ich immer mehr die Haltung einer weißen herrschenden Kultur im Verhältnis zu afro-diasporischer Ästhetik. Natürlich geht es dabei auch um meinen eigenen schwarzen, Körper und darum, was das für meine künstlerische Arbeit hier heißt. Ich habe für mich entdeckt, gesellschaftspolitische Themen mittels Theater oder Tanz in Szene zu setzen.”
Kunst ist eine provokative Sprache, die viel mehr Ausdruck haben kann als ein Diskurs oder ein Vortrag.
Auch das Studium gibt ihr die Freiheit zu experimentieren, ohne dafür gleich eine bestimmte Form finden zu müssen. “Ich kann den Themen, die mich interessieren, eine Bühne geben. Performance ist für mich die Form, in der ich die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen beginnen oder vor Publikum darstellen kann.” Innerhalb des Produktions- und Künstler*innenprojektes antagon im Frankfurter Osten leitet Bárbara auch zwei europäische Erasmusprojekte für Erwachsenenbildung. Themen sind der Feminismus in der Darstellenden Kunst (“Women performing Europe”) und die De-kolonialisierung der Tanz- und Theaterausbildung (“Reconnect dance and theater training in dialog with the global south”).
Auf dem Gelände von Protagon e.V. steht auch der Tourbus des antagon Ensembles, mit dem die Schauspieler*innen Theaterfestivals in ganz Europa bereisen: Polen, in Frankreich, Spanien, aber auch Lateinamerika. 2019 hat antagon z.B. auf dem Internationalen Fadjr-Festival in Teheran gespielt.
Im vergangenen Jahr wurden alle Festivals wegen der Corona-Pandemie abgesagt. In Frankfurt und Umgebung hat antagon unter Einhaltung strenger Hygieneregeln mobile Theaterprojekte auf der Straße realisiert. Auch im ländlichen Raum, in kleinen Gemeinden oder sozialen Brennpunkten. Es war eine bewusste politische Entscheidung, sich auf diese Art im öffentlichen Raum zu positionieren. “Wir haben einen offenen Prozess initiiert, innerhalb dessen viele Menschen Zugang hatten zu Theater und Tanz. Demokratisierung, Vielfalt und unterschiedliche Menschen zusammen zu bringen ist für uns sehr wichtig. Es war sehr anstrengend, aber wir haben wichtige neue Erfahrungen gemacht.”
Wir können nicht einfach abwarten, was passiert. Wir müssen weiterarbeiten. Es ist unser Leben und unsere Motivation, mit unserer Sprache Teil gesellschaftlicher Veränderungsprozesse zu werden.
Das Internationale Frauen*Theater Festival wurde von Bárbara Luci Carvalho initiiert und in einem Team mit anderen Künstler*innen weiterentwickelt. Seit Beginn hatte das Festival jeweils unterschiedliche Themenschwerpunkte, zum Beispiel: “Der Körper als politischer Raum”, “Collective empowerment across borders” oder “Women Performing selves”. Das erste Internationale Frauen*Theater-Festival vor fünf Jahren war entscheidend für Bárbara Luci Carvalhos Karriere und ihr Leben in Deutschland.
Ich fühle mich jetzt als Teil dieser Gesellschaft. Ich möchte in Frankfurt arbeiten. Ich möchte meine Energie und mein Wissen hier konzentrieren.
Es war wichtig für Bárbara Luci Carvalho, das feministische Projekt innerhalb des Theaterkollektivs zu positionieren. “Es geht darum, diese Themen überall zu behandeln, nicht nur unter Frauen*. Es ist wichtig, dass wir ein Festival haben, das Frauen* in der Darstellenden Kunst sichtbar macht und ihre Präsenz innerhalb von Gruppen stärkt. Ich bin überzeugt und sehe, dass es heute, nach fünf Jahren, viel mehr Solidarität und Verständnis gibt, auch wenn noch ein weiter Weg vor uns liegt.”
Genau der richtige Punkt für die Frage: Was ist für dich Erfolg? “Erfolg? Für mich ist Erfolg vor allem wenn ich glücklich bin. Wenn ich mit mir selbst in all diesen Veränderungsprozessen einverstanden bin, weil ich gegeben habe, was ich geben konnte. Und weiß: Bárbara, das hast du gut gemacht! Ich liebe dieses Gefühl. Ich habe hohe Erwartungen an mich selbst. Und inzwischen habe ich gelernt, mich zu lieben und zu akzeptieren. Ich denke, das ist sehr erfolgreich.” Bárbara Luci Cavalho muss sich nicht nur in ihrer Rolle als Frau, sondern auch als Frau außerhalb ihres kulturellen Kontexts positionieren. “Meine Geschichte ist eng verbunden mit dem Bild meines schwarzen Körpers in einer weißen Gesellschaft. Das produziert viel Druck gegenüber mir selbst. Ich musste lernen zu akzeptieren, dass ich so wie ich bin, hierher gehöre.” Es hat gedauert, bis Bárbara Luci Carvalho sich diesen Themen stellen und sie vor einem Publikum öffentlich machen konnte. Wie politisch ist es, den eigenen Körper zu präsentieren und und darüber zu sprechen?
Ich muss als schwarze Frau viel mehr geben. Aber ich habe die Entscheidung getroffen, hier zu leben. Das ist meine Verantwortung.
Diskriminierung und Sexismus sind nicht nur persönliche Erfahrungen. Sie sind ein gesellschaftliches Problem. Das Internationale Frauen*Theater-Festival ist für Bárbara auch eine Möglichkeit, das zu thematisieren. “Ich habe schwarze Künstlerinnen eingeladen und gefragt: Erzähl mal, wie ist Dein Leben? Wie kannst du produzieren? Hast du alles, was du brauchst? Das ist für mich eine Möglichkeit etwas für Frauen* in der Darstellenden Kunst zu verbessern. Im Rahmen des Festivals zeigen wir unsere Projekte, auch unsere Professionalität und unsere Qualität. Aber wir wollen auch eine Plattform für kritisches Denken und Reflexion schaffen und in Workshops und Gesprächen behandeln, welche unterschiedlichen Erfahrungen von Unterdrückung wir als Frauen* haben. In Afrika oder in Brasilien oder in Frankfurt oder München – Frauen* kämpfen überall für Gleichberechtigung.“ Wenige Tage nach unserem Interview ist Bárbara wieder unterwegs: zu einer Tanz-Weiterbildung im Senegal.