Sophie Dobrigkeit
Wir treffen uns in einem roten Café. Beim Blick durch die Kamera wird das Café zu einem zweidimensionalen Raum und offenbart seine linearen, grafischen Elemente. (mehr …)
Wir treffen uns in einem roten Café. Beim Blick durch die Kamera wird das Café zu einem zweidimensionalen Raum und offenbart seine linearen, grafischen Elemente. (mehr …)
Im Künstler*innenhaus Mousonturm, Probebühne im vierten Stock. Ein Vorfrühlingstag im Februar, der Blick schweift über die Dächer Frankfurts. (mehr …)
Die Produktions- und Ausstellungsplattform Basis ist der passende Ort, um die Künstlerin Amna Elhassan zu treffen... (mehr …)
Wir treffen uns im LAB 106. Ein von Lena Grewenig konzipierter Raum, eine Plattform für Vernetzung und Vermarktung junger Designer:innen. (mehr …)
Eine ganz eigene Welt. Musik auflegen. Alle feiern und sind ausgelassen und Du bist hoch konzentriert – was fasziniert Miriam Schulte an der Welt der elektronischen Musik und der Clubs? (mehr …)
Anfang des Jahres im Studio Naxos. HUNGRY – Tänzer:innen erzählen die Geschichten ihrer Körper: Sieben choreografische Video-Porträts über das, was wir alle gemeinsam haben. Gal Fefferman, Anno Bolender und Julia Hagen arbeiten als Kollektiv unter dem Namen gossips. (mehr …)
Mahret Ifeoma Kupka interessiert sich für Fragestellungen wie „Lässt sich Mode in eine Ausstellung übersetzen?“ und für kuratorische Strategien im Umgang mit Objekten. (mehr …)
Zu Besuch bei Monika Linhard in ihrem Atelier auf dem Gelände der Milchsackfabrik im Gutleutviertel. Fünfzehn Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt, fühlt sich das für Frankfurter:innen ziemlich weit draußen an. Über dem Tisch, an dem wir Platz nehmen, baumelt eine fragile schwebende Zwischendecke. Sie erinnert an ein Mobile. Dinge, Objekte oder Materialproben, die Monika Linhard inspirieren, die sie findet, auch in ihrem eigenen Atelier, steigen auf in diese Wolke. “Die Fundstücke liegen herum, ich ziehe sie unter dem Tisch hervor und lege sie dort oben ab.“ Ein Zwischenlager. Formgespräch nennt es die Künstlerin.
Das Gelände der Milchsackfabrik, einigen bekannt durch das Tanzhaus West, gehörte früher dem Erben der Farbenfabrik Dr. C. Milchsack. Seiner Wertschätzung ist es zu verdanken, dass die Milchsackfabrik nicht der Immobilienspekulation zum Opfer fiel. 2019 verkaufte er seine Immobilie an die städtische Konversions-Grundstücksentwicklungsgesellschaft der Stadt Frankfurt (KEG). Kulturgelände und Ateliers konnten erhalten und weiter genutzt werden.
Monika Linhard ist in verschiedenen Verbänden und Initiativen aktiv. Und mit Line Krom und Haike Rausch eine von drei Sprecherinnen für Bildende Kunst der Koalition der Freien Szene Frankfurt: Eine Interessensgemeinschaft freischaffender Künstler:innen aus Bildender Kunst, Musik, Theater, Film und Literatur: www.koalition-freieszeneffm.de. Derzeit führt die Koalition der Freien Szene Gespräche mit den kulturpolitischen Sprecher:innen der Parteien der Römerkoalition. Ziel ist zunächst, über den Berufsalltag im Kulturbetrieb zu informieren.
Sachliche Aufklärungs- und Informationsarbeit ist der erste Schritt. Priorität in den Gesprächen hat die Forderung von Ausstellungshonoraren in öffentlich geförderten Institutionen und die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen freischaffender Künstler:innen. „Viele Verantwortliche in der Politik haben keine Vorstellung davon, wie Künstler:innen arbeiten und was sie verdienen und dass mehr als 90 % nicht von ihrer Arbeit leben können. Die Pandemie hat ein bisschen geholfen und die prekäre Situation sichtbar gemacht.“ Brauchten wir wirklich eine Pandemie, um in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Arbeitsbedingungen im Kunstbetrieb zu schaffen?
Inzwischen ist Monika Linhard auf die Leiter gestiegen. Jedes Fundstück auf dem Mobile hat seine eigene Geschichte, auch die grüne Plastiktüte. Monika Linhards Arbeiten sind sehr erzählerisch. Die Frage nach einem der Objekte führt uns auf Umwegen in ein Gespräch zu ihrem Werdegang: „Ich habe einen für Künstlerinnen eher ungewöhnlichen Lebenslauf. Ich habe sehr früh Kinder bekommen.“ Monika Linhard lebte damals in einer gesellschafts- und konsumkritisch orientierten Wohn- und Arbeitsgemeinschaft in einer ehemaligen Brauerei in der Rhön. Neben einem landwirtschaftlichen Betrieb führten die Bewohner:innen auch mehrere Werkstätten, unter anderem für Holzbearbeitung und Bronzeguss. Monika ist gelernte Holzbildhauerin. Erst mit 29 Jahren nahm sie ihr Kunststudium an der Gesamthochschule Kassel auf. „Ich hatte zwei kleine Kinder und musste auch Geld verdienen. Während meines Studiums lebte ich weiterhin in der Rhön, nahm aber an den wöchentlichen Korrekturgesprächen und Seminaren teil.“ In dieser Lebenssituation hat Monika Linhard eine ganz eigene Arbeitsweise gefunden: Listen geführt, Arbeitshefte angelegt und Kriterien entwickelt für die konsequente Selbstbewertung ihrer Arbeiten. „Aber das Wichtigste im Studium passiert beiläufig oder zufällig oder im Austausch mit den anderen Studierenden. Das hat mir sehr gefehlt!"
Künstlernamen, die in unserem Gespräch immer wieder fallen: Louise Bourgeois, Alberto Giacometti, Bruce Naumann, Joseph Beuys. Giacometti erweitert die Figur um den Raum, Beuys bringt das Material zum Sprechen.
„Wenn man sich darauf einlässt, kann man das Material auch lesen. Man nimmt es in die Hand, man spürt das Gewicht, man fühlt die Oberfläche, man riecht das Material; oder die Lichtverhältnisse verändern sich und man erkennt plötzlich eine ganz andere Struktur.“
Das ist eine sehr klare Entscheidung. Und warum? „Ich erkannte, dass alles, was ich anfasse, zu einem Kopf wurde oder zu einer Figur. Das war mir zu fokussiert, zu eng.“ Nach einiger Zeit und nach vielen Experimenten mit verschiedenen Materialien auch die Entscheidung: Holz ist es gar nicht.
Aus persönlichen Gründen ist Monika zu der Beschäftigung mit Alltagsgegenständen gekommen: „Meine Eltern sind sehr früh gestorben und ich habe viele Dinge des täglichen Lebens von ihnen geerbt. Die habe ich nach und nach mit ins Atelier genommen und begonnen, deren Form, Material und Bedeutungsinhalt zu erforschen.“
Der frühe Tod der Eltern und das Erbe waren der Anlass, sich mit Alltagsgegenständen zu beschäftigen, diese Geschichte ist aber heute für die künstlerische Arbeit nicht mehr wichtig. „Ich habe analytisch damit gearbeitet.“ Und Fragen gestellt.
Monika Linhard arbeitet auch als Grafikerin. „Meine Situation war ökonomisch sehr angespannt durch zwei Kinder, ich habe nie geheiratet, mich in keine Versorgungssicherheit hineinbegeben.“ Sie hat beschlossen, sich ein zweites Standbein aufzubauen, Lehrgänge besucht, in Agenturen gearbeitet. Heute arbeitet Monika projektbezogen als Grafikerin im Printbereich. „Ich habe immer versucht, Jobs zu finden, bei denen ich etwas lernen konnte, dass auch meiner künstlerischer Arbeit nützt.“
Wir kommen zu unserer Lieblingsfrage: Was bedeutet für Dich Erfolg? Ein schwieriges Wort, findet Monika Linhard.
„In unserer Gesellschaft werden ja häufig Geld und Erfolg gleichgesetzt. Das sehe ich differenzierter.“ Aber auch Anerkennung und Wertschöpfung bekommen wir oft in Form von Geld. Ein Spagat, den man immer wieder machen muss. Und auch bei den Forderungen der Koalition der Freien Szene geht es letztendlich um Geld – ganz frei machen können wir uns davon nicht.
Aktuelle Projekte? Woran arbeitet Monika Linhard zurzeit? Soeben ist der erste Band ihres zweiteiligen Werkverzeichnisses im KANN-VERLAG erschienen. „Mein Werkverzeichnis zu erstellen, würde ich schon als Anerkennung meiner selbst verstehen. Es war interessant und überraschend zu sehen, was ich alles gemacht habe.“ Zudem hat Monika Linhard das NEUSTART KULTUR: NEUSTARTplus-Stipendium des Kunstfonds erhalten. Gefördert werden bildende Künstler:innen für einen Zeitraum von sechs Monaten, um ohne wirtschaftliche Einschränkungen an ihrem Werk arbeiten zu können. Monika Linhard wird sich im Rahmen des Stipendiums verstärkt mit dem Thema Licht befassen und den Zusammenhang von Licht, Luft und Thermik künstlerisch untersuchen.
Monika Linhards Arbeit geht deutlich über das skulpturale hinaus, sie schafft große ortsspezifische Installationen im Raum. Auch die grünen Plastikfahnen im Atelier sind Reste von solchen Installationen. Mit der grünen Baufolie werden z. B. Fenster abgeklebt, wenn verputzt oder gestrichen wird. In hauchdünne Schichten übereinandergelegt ergeben sich viele verschiedene Abstufungen von Transparenz. Die Eigenschaften und ästhetische Qualität von Material und Alltagsgegenständen bilden den Ausgangspunkt von Monika Linhards künstlerischer Arbeit. Blättert man durch den ersten Band ihres Werkverzeichnisses, so findet man auf den monochromen Seiten, die die einzelnen Kapitel voneinander trennen, eine Reihe von Begriffen: transparent – farbig – überdimensioniert – ornamental steht da; oder luftig – schweben – schwanken – strömen – hell – thermisch. Zu Beginn ihrer künstlerischen Karriere hatte Monika Linhard in der alten Brauerei in der Rhön sehr, sehr viel Platz und konnte große Räume nutzen:
Diese Großzügigkeit hat ihr Schaffen geprägt.
Wir sind zu Besuch bei Bárbara Luci Carvalho auf dem Protagon-Gelände in Frankfurt Fechenheim, Sitz des antagon Theaterkollektivs. antagon ist nicht nur eine Arbeits-, sondern auch eine Lebensgemeinschaft: Zwischen Probebühne, Büros und Gemeinschaftsküche wohnen zurzeit 25 Erwachsene und vier Kinder.
Bárbara Luci Carvalho ist Performerin, Tänzerin und Theaterpädagogin. Vor knapp 12 Jahren hat Bárbara in Brasilien an einem Workshop von antagon teilgenommen. Nach dem Studium der Theaterpädagogik vermisste sie die Erfahrung in in der Gruppe und das Arbeiten in einer Theatergemeinschaft. So fiel die Entscheidung, sich dem Theaterkollektiv anzuschließen und nach Frankfurt zu kommen. Zunächst hat sie für antagon als Schauspielerin gearbeitet und Schauspielunterrricht gegeben. Nach vielen gemeinsamen Projekten und Erfahrungen performt Bárbara heute in fast allen Theaterproduktionen, ist Teil der Organisation und in viele Veranstaltungen eingebunden. Vor fünf Jahren hat sie das Internationale Frauen*Theater-Festival ins Leben gerufen dessen künstlerische Leiterin sie ist.
In der Auseinandersetzung mit ihrer neuen Lebensrealität in Frankfurt ist sie auf Themen gestoßen, die es zu vertiefen galt: Machtverhältnisse, die sich in Diskriminierung, Rassismus und Sexismus ausdrücken. Bárbara hat sich außerdem für ein Zweitstudium entschieden. Am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft Gießen macht sie derzeit im internationalen Studiengang für Choreografie und Performance ihren Master. “In meinem Studium geht es darum, neue experimentelle Formen von Tanz, Theater und Körperarbeit zu finden und interdisziplinär zu arbeiten. In diesem Rahmen forsche ich zu zeitgenössischem afrikanischen Tanz im politischen und ästhetischen Diskurs. Hier in Europa begreife ich immer mehr die Haltung einer weißen herrschenden Kultur im Verhältnis zu afro-diasporischer Ästhetik. Natürlich geht es dabei auch um meinen eigenen schwarzen, Körper und darum, was das für meine künstlerische Arbeit hier heißt. Ich habe für mich entdeckt, gesellschaftspolitische Themen mittels Theater oder Tanz in Szene zu setzen.”
Auch das Studium gibt ihr die Freiheit zu experimentieren, ohne dafür gleich eine bestimmte Form finden zu müssen. “Ich kann den Themen, die mich interessieren, eine Bühne geben. Performance ist für mich die Form, in der ich die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen beginnen oder vor Publikum darstellen kann.” Innerhalb des Produktions- und Künstler*innenprojektes antagon im Frankfurter Osten leitet Bárbara auch zwei europäische Erasmusprojekte für Erwachsenenbildung. Themen sind der Feminismus in der Darstellenden Kunst (“Women performing Europe”) und die De-kolonialisierung der Tanz- und Theaterausbildung (“Reconnect dance and theater training in dialog with the global south”).
Auf dem Gelände von Protagon e.V. steht auch der Tourbus des antagon Ensembles, mit dem die Schauspieler*innen Theaterfestivals in ganz Europa bereisen: Polen, in Frankreich, Spanien, aber auch Lateinamerika. 2019 hat antagon z.B. auf dem Internationalen Fadjr-Festival in Teheran gespielt.
Im vergangenen Jahr wurden alle Festivals wegen der Corona-Pandemie abgesagt. In Frankfurt und Umgebung hat antagon unter Einhaltung strenger Hygieneregeln mobile Theaterprojekte auf der Straße realisiert. Auch im ländlichen Raum, in kleinen Gemeinden oder sozialen Brennpunkten. Es war eine bewusste politische Entscheidung, sich auf diese Art im öffentlichen Raum zu positionieren. “Wir haben einen offenen Prozess initiiert, innerhalb dessen viele Menschen Zugang hatten zu Theater und Tanz. Demokratisierung, Vielfalt und unterschiedliche Menschen zusammen zu bringen ist für uns sehr wichtig. Es war sehr anstrengend, aber wir haben wichtige neue Erfahrungen gemacht.”
Das Internationale Frauen*Theater Festival wurde von Bárbara Luci Carvalho initiiert und in einem Team mit anderen Künstler*innen weiterentwickelt. Seit Beginn hatte das Festival jeweils unterschiedliche Themenschwerpunkte, zum Beispiel: “Der Körper als politischer Raum”, “Collective empowerment across borders” oder “Women Performing selves”. Das erste Internationale Frauen*Theater-Festival vor fünf Jahren war entscheidend für Bárbara Luci Carvalhos Karriere und ihr Leben in Deutschland.
Es war wichtig für Bárbara Luci Carvalho, das feministische Projekt innerhalb des Theaterkollektivs zu positionieren. “Es geht darum, diese Themen überall zu behandeln, nicht nur unter Frauen*. Es ist wichtig, dass wir ein Festival haben, das Frauen* in der Darstellenden Kunst sichtbar macht und ihre Präsenz innerhalb von Gruppen stärkt. Ich bin überzeugt und sehe, dass es heute, nach fünf Jahren, viel mehr Solidarität und Verständnis gibt, auch wenn noch ein weiter Weg vor uns liegt.”
Genau der richtige Punkt für die Frage: Was ist für dich Erfolg? “Erfolg? Für mich ist Erfolg vor allem wenn ich glücklich bin. Wenn ich mit mir selbst in all diesen Veränderungsprozessen einverstanden bin, weil ich gegeben habe, was ich geben konnte. Und weiß: Bárbara, das hast du gut gemacht! Ich liebe dieses Gefühl. Ich habe hohe Erwartungen an mich selbst. Und inzwischen habe ich gelernt, mich zu lieben und zu akzeptieren. Ich denke, das ist sehr erfolgreich.” Bárbara Luci Cavalho muss sich nicht nur in ihrer Rolle als Frau, sondern auch als Frau außerhalb ihres kulturellen Kontexts positionieren. “Meine Geschichte ist eng verbunden mit dem Bild meines schwarzen Körpers in einer weißen Gesellschaft. Das produziert viel Druck gegenüber mir selbst. Ich musste lernen zu akzeptieren, dass ich so wie ich bin, hierher gehöre.” Es hat gedauert, bis Bárbara Luci Carvalho sich diesen Themen stellen und sie vor einem Publikum öffentlich machen konnte. Wie politisch ist es, den eigenen Körper zu präsentieren und und darüber zu sprechen?
Diskriminierung und Sexismus sind nicht nur persönliche Erfahrungen. Sie sind ein gesellschaftliches Problem. Das Internationale Frauen*Theater-Festival ist für Bárbara auch eine Möglichkeit, das zu thematisieren. “Ich habe schwarze Künstlerinnen eingeladen und gefragt: Erzähl mal, wie ist Dein Leben? Wie kannst du produzieren? Hast du alles, was du brauchst? Das ist für mich eine Möglichkeit etwas für Frauen* in der Darstellenden Kunst zu verbessern. Im Rahmen des Festivals zeigen wir unsere Projekte, auch unsere Professionalität und unsere Qualität. Aber wir wollen auch eine Plattform für kritisches Denken und Reflexion schaffen und in Workshops und Gesprächen behandeln, welche unterschiedlichen Erfahrungen von Unterdrückung wir als Frauen* haben. In Afrika oder in Brasilien oder in Frankfurt oder München – Frauen* kämpfen überall für Gleichberechtigung.“ Wenige Tage nach unserem Interview ist Bárbara wieder unterwegs: zu einer Tanz-Weiterbildung im Senegal.
Im Palmengarten. Es ist April und es schneit. Mit Patricia Germandi führe ich ein Gespräch über Sehgewohnheiten und Vergänglichkeit. Patricia Germandi ist die Leiterin für Kommunikation und Veranstaltungen im Palmengarten. Wir fragen nach dem Anknüpfungspunkt zum Thema Kultur. Würde sie das, was Sie tut, als Kulturarbeit bezeichnen?
Spricht man von Kultur, denkt man gerne an Kunst. Patricia Germandi ist Biologin. Als Biologin kann man den Begriff Kultur auch ganz anders definieren. Der Palmengarten vereint Pflanzenkulturen aus aller Welt. Patricia Germandi betreut nicht nur die Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation, sondern ist auch für Veranstaltungen, Ausstellungen oder Konzerte im Garten verantwortlich. Auch im Sinne der Künste hat der Palmengarten eine lange Tradition. So steht im Garten ein wunderbarer Musikpavillon, der bekannt für seine Jazz- und Blueskonzerte oder Opernaufführungen ist, es gab auch mal eigenes Orchester und sogar einen Musikdirektor. In diesem Jahr wird der Palmengarten 150 Jahre alt. Bereits zu Beginn war das Ziel, mit dem großen neuen Garten einen öffentlichen Raum zu schaffen: Ein gesellschaftliches Forum, wo Menschen Schönes erleben, flanieren und Pflanzen betrachten, aber auch Musik hören konnten. Zusammen mit der neuen Direktorin Katja Heubach hat sich Patricia Germandi zum Ziel gesetzt, im Palmengarten beide Bereiche stärker zu verzahnen, interdisziplinär zu denken und Kultur im klassischen Sinne von Musik, bildender Kunst oder Literatur mit den Themen des Gartens in einen Dialog zu bringen. “Das ist für mich eine sehr facettenreiche Möglichkeit, Kultur im Garten sichtbar und erfahrbar zu machen.”
Patricia Germandi war immer schon sehr an Kunst interessiert. Gleichzeitig gab es für sie keinen schöneren Ort als das Ginnheimer Wäldchen. Nach einer Ausblidung zur Werbekauffrau war klar: Es fehlt der Inhalt, nämlich die Natur. Und so folgte ein Biologiestudium.
Später, in der Wissenschaftskommunikation im Senckenberg Museum, war es ihre Aufgabe Naturthemen für die Öffentlichkeitsarbeit und für Ausstellungen aufzubereiten. Bevor Patricia Germandi in den Palmengarten wechselte, hat sie im Museum Sinclair-Haus Bad Homburg – einer Kulturinstitution, die mit dem Schwerpunkt Natur und Kultur nahezu einzigartig ist – in einer vergleichbaren Position gearbeitet. “Projekte, die Kunst- mit Naturpädagogik interdisziplinär verzahnen: Dadurch hat das, was schon immer in mir geschlummert hat, seine erste logische Konsequenz bekommen.” Inmitten von Kunsthistoriker*innen und -pädagog*innen musste sie jedoch zunächst eine neue Sprache lernen und sich an eine andere Denkweise gewöhnen. Ein Perspektivwechsel.
Auch im Palmengarten hat man sich immer schon bemüht, Brücken zu bauen zwischen den Blumen-Schauen und Kunst-Ausstellungen. “Aber man war sich kaum bewusst wie bereichernd das Miteinander sein kann. Naturwissenschaft, Philosophie, Kunst arbeiten heutzutage viel enger zusammen, versuchen durch verschiedene Sehgewohnheiten neue Pfade zu betreten. Gemeinsam auf Dinge zu blicken, die man alleine nicht sehen kann.” Die Erfahrungen zeigen, dass es nicht immer ganz einfach ist, neue Wege zu gehen und Sehgewohnheiten zu hinterfragen.
“Ein Garten ist immer eine gestaltete Landschaft und deswegen kann auch die Kunst sich positionieren. Und weil die Kunst anders ist, macht sie was mit uns und unseren Sehgewohnheiten.” Ein anderes spannendes Thema in diesem Zusammenhang ist die Vergänglichkeit. Unsere Sehgewohnheit sagt: tolle Blumenschauen, täglich frische Pflanzen, nichts Verwelktes. Alles soll perfekt aussehen. Und wenn ein künstlerisches Projekt sich mit dem Vergehen, mit dem Verwelken beschäftigt? “Das ist für Gärtnerteam wie Palmengartenpublikum ganz schwer auszuhalten.”
Die Vergänglichkeit und das Verwelken sind Teil der Natur. Wenn die Vergänglichkeit nicht wäre, würde nichts Neues entstehen. Zum Beispiel die Insektenwiese. Natürlich sieht es dort nicht immer schön aus. Die Insektenwiese ist, wenn sie nicht gerade blüht, erstmal irritierend. Für Patricia Germandi gilt es das Publikum zu überzeugen, dass auch dies eine eigene Ästhetik hat. Und nicht nur der Frühling, wenn Narzissen und Tulpen ihre Köpfchen aus der Erde strecken und alle sich über die Farbenpracht und das Leben freuen. Auch das neue Blüten- und Schmetterlingshaus stellt ökologische Fragen: Kann man es heute noch verantworten, einen so hohen Energieaufwand zu betreiben, um regelmäßig Schmetterlinge schlüpfen zu lassen? Der Palmengarten begreift es als Chance, sich mit dem Thema Ökosystemleistungen zu beschäftigen, Blüten und Bestäuber als ein ökologisches Thema zu definieren und völlig neu aufzuarbeiten. “Wir betrachten das Blüten- und Schmetterlingshaus als ein Zugpferd, mit dem wir in den Garten locken, um darüber das Publikum auch an die bestäuberökologischen Themen der neuen Informationsausstellung heranzuführen.”
Mich interessiert, ob aus der momentanen Pandemie-Situation heraus neue Projekte entwickelt werden, die auch langfristig interessant sind. “Ja, denn unsere Sehgewohnheiten haben auch viel mit Wahrnehmung zu tun. Und die Natur bietet sich dafür an, verschiedene Sinne zu locken.” Klangkunst zum Beispiel komme sehr gut an beim Publikum und sei eine Chance, den Außenraum neu hörbar zu machen: Wie klingt ein Baum, der wächst? Oder eine Rose kurz vorm Erblühen?
Patricia Germandi sieht sich als Brückenbauerin zwischen dem gärtnerischen Team, Künstler*innen und dem Publikum. “Man geht heute viel philosophischer an die Themen heran. Wir müssen nicht immer skulptural denken, wir können uns den Themen auch mal performativ oder diskursiv nähern. Uns weiter öffnen, mehr in offene Prozesse wagen.” Auch die Verbindung von Naturwissenschaft und Biologie, Kommunikation und Kunst darf sich noch weiter entwickeln.
Für Patricia Germandi sind digitale Projekte nur eine vorübergehende Lösung. Sie möchte Menschen mit unterschiedlichen Denkweisen, aus verschiedenen künstlerischen Sparten, aus philosophischen und naturwissenschaftlichen Kontexten, aber auch der Politik und der Wirtschaft einladen und eine regelmäßige Talkreihe etablieren. Die Talks sind als Werkstattgespräche gedacht, die auch in Projekte oder in eine weitere Zusammenarbeit münden können. Das sind die Wünsche, die Patricia Germandi umtreiben. Zu überlegen, was man daraus gewinnen könnte und vor allem ergebnisoffen in die Gespräche zu gehen.
Was bedeutet für Dich Erfolg? “Für mich ist Erfolg, wenn ich am Ende eines Projektes viele zufriedene Menschen sehe, die ich mitnehmen konnte auf eine gemeinsame Reise. Etwas auszuprobieren, einen neuen Weg einzuschlagen und am Ende von mir selbst und von allen anderen überrascht zu werden.”
Ein bisschen wie ihr Leben. Viele Ideen, ein bunter Lebenslauf. “Meine Eltern haben gesagt: Was willst du damit jetzt noch, Kind? Und meine Oma: Botanik? Willst Du Palmengartendirektorin werden?” Dass sie tatsächlich im Palmengarten landen würde, hätte Patricia Germandi nicht gedacht. “Das ist für mich Erfolg. Etwas zu erreichen, das ich gar nicht angestrebt habe.” Letztendlich ist es aber auch keine Überraschung, sondern hat die vielen Kompetenzen und Interessen von Patricia Germandi konsequent zusammengefügt.