Lena Grewenig
Wir treffen uns im LAB 106. Ein von Lena Grewenig konzipierter Raum, eine Plattform für Vernetzung und Vermarktung junger Designer:innen. (mehr …)
Wir treffen uns im LAB 106. Ein von Lena Grewenig konzipierter Raum, eine Plattform für Vernetzung und Vermarktung junger Designer:innen. (mehr …)
Eine ganz eigene Welt. Musik auflegen. Alle feiern und sind ausgelassen und Du bist hoch konzentriert – was fasziniert Miriam Schulte an der Welt der elektronischen Musik und der Clubs? (mehr …)
Anfang des Jahres im Studio Naxos. HUNGRY – Tänzer:innen erzählen die Geschichten ihrer Körper: Sieben choreografische Video-Porträts über das, was wir alle gemeinsam haben. Gal Fefferman, Anno Bolender und Julia Hagen arbeiten als Kollektiv unter dem Namen gossips. (mehr …)
Mahret Ifeoma Kupka interessiert sich für Fragestellungen wie „Lässt sich Mode in eine Ausstellung übersetzen?“ und für kuratorische Strategien im Umgang mit Objekten. (mehr …)
Zu Besuch bei Monika Linhard in ihrem Atelier auf dem Gelände der Milchsackfabrik im Gutleutviertel. Fünfzehn Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt, fühlt sich das für Frankfurter:innen ziemlich weit draußen an. Über dem Tisch, an dem wir Platz nehmen, baumelt eine fragile schwebende Zwischendecke. Sie erinnert an ein Mobile. Dinge, Objekte oder Materialproben, die Monika Linhard inspirieren, die sie findet, auch in ihrem eigenen Atelier, steigen auf in diese Wolke. “Die Fundstücke liegen herum, ich ziehe sie unter dem Tisch hervor und lege sie dort oben ab.“ Ein Zwischenlager. Formgespräch nennt es die Künstlerin.
Das Gelände der Milchsackfabrik, einigen bekannt durch das Tanzhaus West, gehörte früher dem Erben der Farbenfabrik Dr. C. Milchsack. Seiner Wertschätzung ist es zu verdanken, dass die Milchsackfabrik nicht der Immobilienspekulation zum Opfer fiel. 2019 verkaufte er seine Immobilie an die städtische Konversions-Grundstücksentwicklungsgesellschaft der Stadt Frankfurt (KEG). Kulturgelände und Ateliers konnten erhalten und weiter genutzt werden.
Monika Linhard ist in verschiedenen Verbänden und Initiativen aktiv. Und mit Line Krom und Haike Rausch eine von drei Sprecherinnen für Bildende Kunst der Koalition der Freien Szene Frankfurt: Eine Interessensgemeinschaft freischaffender Künstler:innen aus Bildender Kunst, Musik, Theater, Film und Literatur: www.koalition-freieszeneffm.de. Derzeit führt die Koalition der Freien Szene Gespräche mit den kulturpolitischen Sprecher:innen der Parteien der Römerkoalition. Ziel ist zunächst, über den Berufsalltag im Kulturbetrieb zu informieren.
Sachliche Aufklärungs- und Informationsarbeit ist der erste Schritt. Priorität in den Gesprächen hat die Forderung von Ausstellungshonoraren in öffentlich geförderten Institutionen und die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen freischaffender Künstler:innen. „Viele Verantwortliche in der Politik haben keine Vorstellung davon, wie Künstler:innen arbeiten und was sie verdienen und dass mehr als 90 % nicht von ihrer Arbeit leben können. Die Pandemie hat ein bisschen geholfen und die prekäre Situation sichtbar gemacht.“ Brauchten wir wirklich eine Pandemie, um in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Arbeitsbedingungen im Kunstbetrieb zu schaffen?
Inzwischen ist Monika Linhard auf die Leiter gestiegen. Jedes Fundstück auf dem Mobile hat seine eigene Geschichte, auch die grüne Plastiktüte. Monika Linhards Arbeiten sind sehr erzählerisch. Die Frage nach einem der Objekte führt uns auf Umwegen in ein Gespräch zu ihrem Werdegang: „Ich habe einen für Künstlerinnen eher ungewöhnlichen Lebenslauf. Ich habe sehr früh Kinder bekommen.“ Monika Linhard lebte damals in einer gesellschafts- und konsumkritisch orientierten Wohn- und Arbeitsgemeinschaft in einer ehemaligen Brauerei in der Rhön. Neben einem landwirtschaftlichen Betrieb führten die Bewohner:innen auch mehrere Werkstätten, unter anderem für Holzbearbeitung und Bronzeguss. Monika ist gelernte Holzbildhauerin. Erst mit 29 Jahren nahm sie ihr Kunststudium an der Gesamthochschule Kassel auf. „Ich hatte zwei kleine Kinder und musste auch Geld verdienen. Während meines Studiums lebte ich weiterhin in der Rhön, nahm aber an den wöchentlichen Korrekturgesprächen und Seminaren teil.“ In dieser Lebenssituation hat Monika Linhard eine ganz eigene Arbeitsweise gefunden: Listen geführt, Arbeitshefte angelegt und Kriterien entwickelt für die konsequente Selbstbewertung ihrer Arbeiten. „Aber das Wichtigste im Studium passiert beiläufig oder zufällig oder im Austausch mit den anderen Studierenden. Das hat mir sehr gefehlt!"
Künstlernamen, die in unserem Gespräch immer wieder fallen: Louise Bourgeois, Alberto Giacometti, Bruce Naumann, Joseph Beuys. Giacometti erweitert die Figur um den Raum, Beuys bringt das Material zum Sprechen.
„Wenn man sich darauf einlässt, kann man das Material auch lesen. Man nimmt es in die Hand, man spürt das Gewicht, man fühlt die Oberfläche, man riecht das Material; oder die Lichtverhältnisse verändern sich und man erkennt plötzlich eine ganz andere Struktur.“
Das ist eine sehr klare Entscheidung. Und warum? „Ich erkannte, dass alles, was ich anfasse, zu einem Kopf wurde oder zu einer Figur. Das war mir zu fokussiert, zu eng.“ Nach einiger Zeit und nach vielen Experimenten mit verschiedenen Materialien auch die Entscheidung: Holz ist es gar nicht.
Aus persönlichen Gründen ist Monika zu der Beschäftigung mit Alltagsgegenständen gekommen: „Meine Eltern sind sehr früh gestorben und ich habe viele Dinge des täglichen Lebens von ihnen geerbt. Die habe ich nach und nach mit ins Atelier genommen und begonnen, deren Form, Material und Bedeutungsinhalt zu erforschen.“
Der frühe Tod der Eltern und das Erbe waren der Anlass, sich mit Alltagsgegenständen zu beschäftigen, diese Geschichte ist aber heute für die künstlerische Arbeit nicht mehr wichtig. „Ich habe analytisch damit gearbeitet.“ Und Fragen gestellt.
Monika Linhard arbeitet auch als Grafikerin. „Meine Situation war ökonomisch sehr angespannt durch zwei Kinder, ich habe nie geheiratet, mich in keine Versorgungssicherheit hineinbegeben.“ Sie hat beschlossen, sich ein zweites Standbein aufzubauen, Lehrgänge besucht, in Agenturen gearbeitet. Heute arbeitet Monika projektbezogen als Grafikerin im Printbereich. „Ich habe immer versucht, Jobs zu finden, bei denen ich etwas lernen konnte, dass auch meiner künstlerischer Arbeit nützt.“
Wir kommen zu unserer Lieblingsfrage: Was bedeutet für Dich Erfolg? Ein schwieriges Wort, findet Monika Linhard.
„In unserer Gesellschaft werden ja häufig Geld und Erfolg gleichgesetzt. Das sehe ich differenzierter.“ Aber auch Anerkennung und Wertschöpfung bekommen wir oft in Form von Geld. Ein Spagat, den man immer wieder machen muss. Und auch bei den Forderungen der Koalition der Freien Szene geht es letztendlich um Geld – ganz frei machen können wir uns davon nicht.
Aktuelle Projekte? Woran arbeitet Monika Linhard zurzeit? Soeben ist der erste Band ihres zweiteiligen Werkverzeichnisses im KANN-VERLAG erschienen. „Mein Werkverzeichnis zu erstellen, würde ich schon als Anerkennung meiner selbst verstehen. Es war interessant und überraschend zu sehen, was ich alles gemacht habe.“ Zudem hat Monika Linhard das NEUSTART KULTUR: NEUSTARTplus-Stipendium des Kunstfonds erhalten. Gefördert werden bildende Künstler:innen für einen Zeitraum von sechs Monaten, um ohne wirtschaftliche Einschränkungen an ihrem Werk arbeiten zu können. Monika Linhard wird sich im Rahmen des Stipendiums verstärkt mit dem Thema Licht befassen und den Zusammenhang von Licht, Luft und Thermik künstlerisch untersuchen.
Monika Linhards Arbeit geht deutlich über das skulpturale hinaus, sie schafft große ortsspezifische Installationen im Raum. Auch die grünen Plastikfahnen im Atelier sind Reste von solchen Installationen. Mit der grünen Baufolie werden z. B. Fenster abgeklebt, wenn verputzt oder gestrichen wird. In hauchdünne Schichten übereinandergelegt ergeben sich viele verschiedene Abstufungen von Transparenz. Die Eigenschaften und ästhetische Qualität von Material und Alltagsgegenständen bilden den Ausgangspunkt von Monika Linhards künstlerischer Arbeit. Blättert man durch den ersten Band ihres Werkverzeichnisses, so findet man auf den monochromen Seiten, die die einzelnen Kapitel voneinander trennen, eine Reihe von Begriffen: transparent – farbig – überdimensioniert – ornamental steht da; oder luftig – schweben – schwanken – strömen – hell – thermisch. Zu Beginn ihrer künstlerischen Karriere hatte Monika Linhard in der alten Brauerei in der Rhön sehr, sehr viel Platz und konnte große Räume nutzen:
Diese Großzügigkeit hat ihr Schaffen geprägt.
Wir sind zu Besuch bei Bárbara Luci Carvalho auf dem Protagon-Gelände in Frankfurt Fechenheim, Sitz des antagon Theaterkollektivs. antagon ist nicht nur eine Arbeits-, sondern auch eine Lebensgemeinschaft: Zwischen Probebühne, Büros und Gemeinschaftsküche wohnen zurzeit 25 Erwachsene und vier Kinder.
Bárbara Luci Carvalho ist Performerin, Tänzerin und Theaterpädagogin. Vor knapp 12 Jahren hat Bárbara in Brasilien an einem Workshop von antagon teilgenommen. Nach dem Studium der Theaterpädagogik vermisste sie die Erfahrung in in der Gruppe und das Arbeiten in einer Theatergemeinschaft. So fiel die Entscheidung, sich dem Theaterkollektiv anzuschließen und nach Frankfurt zu kommen. Zunächst hat sie für antagon als Schauspielerin gearbeitet und Schauspielunterrricht gegeben. Nach vielen gemeinsamen Projekten und Erfahrungen performt Bárbara heute in fast allen Theaterproduktionen, ist Teil der Organisation und in viele Veranstaltungen eingebunden. Vor fünf Jahren hat sie das Internationale Frauen*Theater-Festival ins Leben gerufen dessen künstlerische Leiterin sie ist.
In der Auseinandersetzung mit ihrer neuen Lebensrealität in Frankfurt ist sie auf Themen gestoßen, die es zu vertiefen galt: Machtverhältnisse, die sich in Diskriminierung, Rassismus und Sexismus ausdrücken. Bárbara hat sich außerdem für ein Zweitstudium entschieden. Am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft Gießen macht sie derzeit im internationalen Studiengang für Choreografie und Performance ihren Master. “In meinem Studium geht es darum, neue experimentelle Formen von Tanz, Theater und Körperarbeit zu finden und interdisziplinär zu arbeiten. In diesem Rahmen forsche ich zu zeitgenössischem afrikanischen Tanz im politischen und ästhetischen Diskurs. Hier in Europa begreife ich immer mehr die Haltung einer weißen herrschenden Kultur im Verhältnis zu afro-diasporischer Ästhetik. Natürlich geht es dabei auch um meinen eigenen schwarzen, Körper und darum, was das für meine künstlerische Arbeit hier heißt. Ich habe für mich entdeckt, gesellschaftspolitische Themen mittels Theater oder Tanz in Szene zu setzen.”
Auch das Studium gibt ihr die Freiheit zu experimentieren, ohne dafür gleich eine bestimmte Form finden zu müssen. “Ich kann den Themen, die mich interessieren, eine Bühne geben. Performance ist für mich die Form, in der ich die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen beginnen oder vor Publikum darstellen kann.” Innerhalb des Produktions- und Künstler*innenprojektes antagon im Frankfurter Osten leitet Bárbara auch zwei europäische Erasmusprojekte für Erwachsenenbildung. Themen sind der Feminismus in der Darstellenden Kunst (“Women performing Europe”) und die De-kolonialisierung der Tanz- und Theaterausbildung (“Reconnect dance and theater training in dialog with the global south”).
Auf dem Gelände von Protagon e.V. steht auch der Tourbus des antagon Ensembles, mit dem die Schauspieler*innen Theaterfestivals in ganz Europa bereisen: Polen, in Frankreich, Spanien, aber auch Lateinamerika. 2019 hat antagon z.B. auf dem Internationalen Fadjr-Festival in Teheran gespielt.
Im vergangenen Jahr wurden alle Festivals wegen der Corona-Pandemie abgesagt. In Frankfurt und Umgebung hat antagon unter Einhaltung strenger Hygieneregeln mobile Theaterprojekte auf der Straße realisiert. Auch im ländlichen Raum, in kleinen Gemeinden oder sozialen Brennpunkten. Es war eine bewusste politische Entscheidung, sich auf diese Art im öffentlichen Raum zu positionieren. “Wir haben einen offenen Prozess initiiert, innerhalb dessen viele Menschen Zugang hatten zu Theater und Tanz. Demokratisierung, Vielfalt und unterschiedliche Menschen zusammen zu bringen ist für uns sehr wichtig. Es war sehr anstrengend, aber wir haben wichtige neue Erfahrungen gemacht.”
Das Internationale Frauen*Theater Festival wurde von Bárbara Luci Carvalho initiiert und in einem Team mit anderen Künstler*innen weiterentwickelt. Seit Beginn hatte das Festival jeweils unterschiedliche Themenschwerpunkte, zum Beispiel: “Der Körper als politischer Raum”, “Collective empowerment across borders” oder “Women Performing selves”. Das erste Internationale Frauen*Theater-Festival vor fünf Jahren war entscheidend für Bárbara Luci Carvalhos Karriere und ihr Leben in Deutschland.
Es war wichtig für Bárbara Luci Carvalho, das feministische Projekt innerhalb des Theaterkollektivs zu positionieren. “Es geht darum, diese Themen überall zu behandeln, nicht nur unter Frauen*. Es ist wichtig, dass wir ein Festival haben, das Frauen* in der Darstellenden Kunst sichtbar macht und ihre Präsenz innerhalb von Gruppen stärkt. Ich bin überzeugt und sehe, dass es heute, nach fünf Jahren, viel mehr Solidarität und Verständnis gibt, auch wenn noch ein weiter Weg vor uns liegt.”
Genau der richtige Punkt für die Frage: Was ist für dich Erfolg? “Erfolg? Für mich ist Erfolg vor allem wenn ich glücklich bin. Wenn ich mit mir selbst in all diesen Veränderungsprozessen einverstanden bin, weil ich gegeben habe, was ich geben konnte. Und weiß: Bárbara, das hast du gut gemacht! Ich liebe dieses Gefühl. Ich habe hohe Erwartungen an mich selbst. Und inzwischen habe ich gelernt, mich zu lieben und zu akzeptieren. Ich denke, das ist sehr erfolgreich.” Bárbara Luci Cavalho muss sich nicht nur in ihrer Rolle als Frau, sondern auch als Frau außerhalb ihres kulturellen Kontexts positionieren. “Meine Geschichte ist eng verbunden mit dem Bild meines schwarzen Körpers in einer weißen Gesellschaft. Das produziert viel Druck gegenüber mir selbst. Ich musste lernen zu akzeptieren, dass ich so wie ich bin, hierher gehöre.” Es hat gedauert, bis Bárbara Luci Carvalho sich diesen Themen stellen und sie vor einem Publikum öffentlich machen konnte. Wie politisch ist es, den eigenen Körper zu präsentieren und und darüber zu sprechen?
Diskriminierung und Sexismus sind nicht nur persönliche Erfahrungen. Sie sind ein gesellschaftliches Problem. Das Internationale Frauen*Theater-Festival ist für Bárbara auch eine Möglichkeit, das zu thematisieren. “Ich habe schwarze Künstlerinnen eingeladen und gefragt: Erzähl mal, wie ist Dein Leben? Wie kannst du produzieren? Hast du alles, was du brauchst? Das ist für mich eine Möglichkeit etwas für Frauen* in der Darstellenden Kunst zu verbessern. Im Rahmen des Festivals zeigen wir unsere Projekte, auch unsere Professionalität und unsere Qualität. Aber wir wollen auch eine Plattform für kritisches Denken und Reflexion schaffen und in Workshops und Gesprächen behandeln, welche unterschiedlichen Erfahrungen von Unterdrückung wir als Frauen* haben. In Afrika oder in Brasilien oder in Frankfurt oder München – Frauen* kämpfen überall für Gleichberechtigung.“ Wenige Tage nach unserem Interview ist Bárbara wieder unterwegs: zu einer Tanz-Weiterbildung im Senegal.
Im Palmengarten. Es ist April und es schneit. Mit Patricia Germandi führe ich ein Gespräch über Sehgewohnheiten und Vergänglichkeit. Patricia Germandi ist die Leiterin für Kommunikation und Veranstaltungen im Palmengarten. Wir fragen nach dem Anknüpfungspunkt zum Thema Kultur. Würde sie das, was Sie tut, als Kulturarbeit bezeichnen?
Spricht man von Kultur, denkt man gerne an Kunst. Patricia Germandi ist Biologin. Als Biologin kann man den Begriff Kultur auch ganz anders definieren. Der Palmengarten vereint Pflanzenkulturen aus aller Welt. Patricia Germandi betreut nicht nur die Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation, sondern ist auch für Veranstaltungen, Ausstellungen oder Konzerte im Garten verantwortlich. Auch im Sinne der Künste hat der Palmengarten eine lange Tradition. So steht im Garten ein wunderbarer Musikpavillon, der bekannt für seine Jazz- und Blueskonzerte oder Opernaufführungen ist, es gab auch mal eigenes Orchester und sogar einen Musikdirektor. In diesem Jahr wird der Palmengarten 150 Jahre alt. Bereits zu Beginn war das Ziel, mit dem großen neuen Garten einen öffentlichen Raum zu schaffen: Ein gesellschaftliches Forum, wo Menschen Schönes erleben, flanieren und Pflanzen betrachten, aber auch Musik hören konnten. Zusammen mit der neuen Direktorin Katja Heubach hat sich Patricia Germandi zum Ziel gesetzt, im Palmengarten beide Bereiche stärker zu verzahnen, interdisziplinär zu denken und Kultur im klassischen Sinne von Musik, bildender Kunst oder Literatur mit den Themen des Gartens in einen Dialog zu bringen. “Das ist für mich eine sehr facettenreiche Möglichkeit, Kultur im Garten sichtbar und erfahrbar zu machen.”
Patricia Germandi war immer schon sehr an Kunst interessiert. Gleichzeitig gab es für sie keinen schöneren Ort als das Ginnheimer Wäldchen. Nach einer Ausblidung zur Werbekauffrau war klar: Es fehlt der Inhalt, nämlich die Natur. Und so folgte ein Biologiestudium.
Später, in der Wissenschaftskommunikation im Senckenberg Museum, war es ihre Aufgabe Naturthemen für die Öffentlichkeitsarbeit und für Ausstellungen aufzubereiten. Bevor Patricia Germandi in den Palmengarten wechselte, hat sie im Museum Sinclair-Haus Bad Homburg – einer Kulturinstitution, die mit dem Schwerpunkt Natur und Kultur nahezu einzigartig ist – in einer vergleichbaren Position gearbeitet. “Projekte, die Kunst- mit Naturpädagogik interdisziplinär verzahnen: Dadurch hat das, was schon immer in mir geschlummert hat, seine erste logische Konsequenz bekommen.” Inmitten von Kunsthistoriker*innen und -pädagog*innen musste sie jedoch zunächst eine neue Sprache lernen und sich an eine andere Denkweise gewöhnen. Ein Perspektivwechsel.
Auch im Palmengarten hat man sich immer schon bemüht, Brücken zu bauen zwischen den Blumen-Schauen und Kunst-Ausstellungen. “Aber man war sich kaum bewusst wie bereichernd das Miteinander sein kann. Naturwissenschaft, Philosophie, Kunst arbeiten heutzutage viel enger zusammen, versuchen durch verschiedene Sehgewohnheiten neue Pfade zu betreten. Gemeinsam auf Dinge zu blicken, die man alleine nicht sehen kann.” Die Erfahrungen zeigen, dass es nicht immer ganz einfach ist, neue Wege zu gehen und Sehgewohnheiten zu hinterfragen.
“Ein Garten ist immer eine gestaltete Landschaft und deswegen kann auch die Kunst sich positionieren. Und weil die Kunst anders ist, macht sie was mit uns und unseren Sehgewohnheiten.” Ein anderes spannendes Thema in diesem Zusammenhang ist die Vergänglichkeit. Unsere Sehgewohnheit sagt: tolle Blumenschauen, täglich frische Pflanzen, nichts Verwelktes. Alles soll perfekt aussehen. Und wenn ein künstlerisches Projekt sich mit dem Vergehen, mit dem Verwelken beschäftigt? “Das ist für Gärtnerteam wie Palmengartenpublikum ganz schwer auszuhalten.”
Die Vergänglichkeit und das Verwelken sind Teil der Natur. Wenn die Vergänglichkeit nicht wäre, würde nichts Neues entstehen. Zum Beispiel die Insektenwiese. Natürlich sieht es dort nicht immer schön aus. Die Insektenwiese ist, wenn sie nicht gerade blüht, erstmal irritierend. Für Patricia Germandi gilt es das Publikum zu überzeugen, dass auch dies eine eigene Ästhetik hat. Und nicht nur der Frühling, wenn Narzissen und Tulpen ihre Köpfchen aus der Erde strecken und alle sich über die Farbenpracht und das Leben freuen. Auch das neue Blüten- und Schmetterlingshaus stellt ökologische Fragen: Kann man es heute noch verantworten, einen so hohen Energieaufwand zu betreiben, um regelmäßig Schmetterlinge schlüpfen zu lassen? Der Palmengarten begreift es als Chance, sich mit dem Thema Ökosystemleistungen zu beschäftigen, Blüten und Bestäuber als ein ökologisches Thema zu definieren und völlig neu aufzuarbeiten. “Wir betrachten das Blüten- und Schmetterlingshaus als ein Zugpferd, mit dem wir in den Garten locken, um darüber das Publikum auch an die bestäuberökologischen Themen der neuen Informationsausstellung heranzuführen.”
Mich interessiert, ob aus der momentanen Pandemie-Situation heraus neue Projekte entwickelt werden, die auch langfristig interessant sind. “Ja, denn unsere Sehgewohnheiten haben auch viel mit Wahrnehmung zu tun. Und die Natur bietet sich dafür an, verschiedene Sinne zu locken.” Klangkunst zum Beispiel komme sehr gut an beim Publikum und sei eine Chance, den Außenraum neu hörbar zu machen: Wie klingt ein Baum, der wächst? Oder eine Rose kurz vorm Erblühen?
Patricia Germandi sieht sich als Brückenbauerin zwischen dem gärtnerischen Team, Künstler*innen und dem Publikum. “Man geht heute viel philosophischer an die Themen heran. Wir müssen nicht immer skulptural denken, wir können uns den Themen auch mal performativ oder diskursiv nähern. Uns weiter öffnen, mehr in offene Prozesse wagen.” Auch die Verbindung von Naturwissenschaft und Biologie, Kommunikation und Kunst darf sich noch weiter entwickeln.
Für Patricia Germandi sind digitale Projekte nur eine vorübergehende Lösung. Sie möchte Menschen mit unterschiedlichen Denkweisen, aus verschiedenen künstlerischen Sparten, aus philosophischen und naturwissenschaftlichen Kontexten, aber auch der Politik und der Wirtschaft einladen und eine regelmäßige Talkreihe etablieren. Die Talks sind als Werkstattgespräche gedacht, die auch in Projekte oder in eine weitere Zusammenarbeit münden können. Das sind die Wünsche, die Patricia Germandi umtreiben. Zu überlegen, was man daraus gewinnen könnte und vor allem ergebnisoffen in die Gespräche zu gehen.
Was bedeutet für Dich Erfolg? “Für mich ist Erfolg, wenn ich am Ende eines Projektes viele zufriedene Menschen sehe, die ich mitnehmen konnte auf eine gemeinsame Reise. Etwas auszuprobieren, einen neuen Weg einzuschlagen und am Ende von mir selbst und von allen anderen überrascht zu werden.”
Ein bisschen wie ihr Leben. Viele Ideen, ein bunter Lebenslauf. “Meine Eltern haben gesagt: Was willst du damit jetzt noch, Kind? Und meine Oma: Botanik? Willst Du Palmengartendirektorin werden?” Dass sie tatsächlich im Palmengarten landen würde, hätte Patricia Germandi nicht gedacht. “Das ist für mich Erfolg. Etwas zu erreichen, das ich gar nicht angestrebt habe.” Letztendlich ist es aber auch keine Überraschung, sondern hat die vielen Kompetenzen und Interessen von Patricia Germandi konsequent zusammengefügt.
Im Atelier von Carolin Kropff. Gemeinsam planen wir eine Veranstaltungsreihe, die eigentlich heute starten sollte und die wir aufgrund des zweiten Lockdowns der Corona-Pandemie absagen mussten. Schön, dass wir stattdessen am gleichen Ort das Interview führen. Dieser Raum ist nicht nur Carolin Kropff’s Atelier, sondern heißt Studiospace Lange Strasse 31. Der Anfang liegt mittlerweile vier, fünf Jahre zurück, als die Künstler*innen des Ateliers anfingen vor Ort Ausstellungen zu organisieren.
Das erste Projekt fand noch im gesamten Atelier statt. „Für mich war es zum ersten Mal, dass ich mich mit der Organisation einer Ausstellung beschäftigt habe. Das war total spannend.“ Dann entstand die Idee, den kleinen Vorraum mit One-Night-Exhibitions zu bespielen – ein winzig kleiner, nicht mal 10 qm großer Raum, der das Treppenhaus mit dem großzügigen Licht durchfluteten Gemeinschaftsatelier verbindet – und jeweils zwei Positionen gegenüber zu stellen. „Ich verdanke die Idee den Raum wie ein Abteil zu bespielen, in dem sich in kurzer Zeit Unbekannte treffen und in einen Dialog treten, meinem Kollegen Lucas Fastabend. Mein persönliches Interesse war vor allem, Künstler*inen die ich in Dubai kennengelernt habe, mit westlicheren Ideen zu verknüpfen. Für die One-Night-Exhibitions war ich auf der Suche nach Positionen, die mich auch herausfordern.“
Mittlerweile sind die Atelierräume von neuen Kolleg*innen besetzt. Carolin – oder Caro – ist immer noch hier und hat sich entschieden, die Veranstaltungsreihe wieder aufzugreifen. Aufbauend auf die One-Night-Exhibitions hat sie ein Workshop-Format konzipiert und ist auf den Frankfurter Kranz zugekommen. Ein Teil der Künstlerinnen die sie ausgewählt hat, beschäftigen sich mit künstlerischen Techniken, die handarbeitsähnliche Tätigkeiten aufgreifen, die traditionell weiblich belegt sind. Geplant ist eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel MACHEN: Am Tisch sitzen, etwas mit den Händen tun und über dieses Tun miteinander ins Gespräch kommen. „Workshop übersetzt meint die Werkstatt, und die Werkstatt ist ein Raum wo gemacht wird.“
Caro Kropff ist Malerin. Sie hat an der Kunstakademie Düsseldorf studiert und später an der Städelschule in Frankfurt. Sie hat in Madrid und viele Jahre in Dubai gelebt und die vielen Reisen und Einflüsse anderer Länder haben sicher mit dazu beigetragen, dass sie ihr Atelier jetzt in dieser Form öffnet und die Zusammenarbeit mit Anderen sucht. „Wenn ich male, finde ich es wunderbar, alleine zu sein und meinen eigenen Dialog zu haben, mit den Farben, mit der Kunstgeschichte, mit dem, was ich über Malerei denke. Im Laufe der Jahre habe ich aber gemerkt, dass das ein bisschen ins Leere läuft.“ Die Konfrontation mit einem Betrachter – das kann ein Besucher in der Ausstellung sein, Kolleg*innen im Diskurs oder Teilnehmer eines Workshops – ist für Caro Kropff schon eine künstlerische Praxis an sich. Ein Aspekt, den sie für ihre künstlerische Arbeit sehr wichtig findet.
Carolin Kropff wollte Modedesignerin werden und zunächst eine Ausbildung zur Herrenschneiderin gemacht. „Ich habe drei Jahre bei einem sehr guten und sehr konservativen Herrenmaßschneider richtig ordentliches Herrenschneiderhandwerk gelernt. Das ist eine sehr schöne Arbeit, das zerschneiden von Stoff, daraus dann etwas Dreidimensionales entstehen zu lassen.“ Anschließend hat sie in der Herrenschneiderei des Dortmunder Theaters als Assistentin für Kostümbild gearbeitet und nebenher Akt gezeichnet. Ihr Lehrer Joachim Peter Kastner war Dozent an der Kunstakademie in Düsseldorf und hat ihr empfohlen, sich dort zu bewerben. „Ich hatte von der Kunstakademie Düsseldorf vorher nie gehört – ich komme aus dem Sauerland und habe mit sechzehn zum ersten Mal ein Museum betreten.“ Die Malerschule der renommierten Düsseldorfer Kunstakademie hat sie geprägt.
Eine radikale Aussage. Malerei und Worte als zwei verschiedene Sprachen zu definieren. Die nicht unbedingt miteinander zu tun haben. Fragen nach dem reinen Kunstwerk, dem autonomen Kunstwerk.... Aber auch: Wann wird Malerei zur Illustration? Oder wann macht sich ein Bühnenbild frei von der Textvorgabe? Diese Fragen waren für Caro Kropff sehr schwer zu beantworten.
„Mittlerweile glaube ich, dass das so nicht stimmt. Oder andersrum gesagt: Natürlich kann man eine Malerei so aufbauen, dass sie sich nur mit der malerischen Grammatik beschäftigt. Aber wenn ich das Verhältnis zum Betrachter suche, lasse ich mich auf eine menschliche Ebene ein und frage danach, was den Menschen interessiert. Zum Beispiel Geschichten. Das habe ich in Dubai wieder neu kennengelernt.“
Caro hat fünf Jahre in Dubai gelebt. In der muslimischen Kultur spielt das Geschichtenerzählen eine große Rolle. Eine nomadische Gesellschaft, in der Materielles hindernd sein kann und Immaterielles wertvoll. „Jemand hat mir das Buch Paradise Lost von John Milton empfohlen, und ich habe erkannt, wie viele Künstler sich mit den großen Geschichten der Menschheit beschäftigt haben. Ich habe mich auch in die Mythologieforschung vertieft. Das alles hat mir erlaubt, mich der figurativen Malerei und dem Geschichtenerzählen ganz anders zu öffnen.“
Caro Kropff hat angefangen, zum Thema Adam und Eva zu arbeiten. Als Menschheitsgeschichte, aber auch als Ur-Thema. Und hat dann in Dubai Felicity Browns kennengelernt, Fashiondesignerin und Künstlerin. Eine Begegnung, die viel bewegt hat. „Wir haben begonnen, zusammen zu arbeiten und gemeinsame Interessen zu entwickeln. Wir sind zusammen nach New Mexico gereist, eine Adame&Eve-Journey. Wir haben Symbole fast kindlich auf Stoffe aufgemalt, zerschnitten, Leute gefragt, ob sie diese tragen wollen...“ Es ging darum, nicht für einen abstrakten Besucher zu arbeiten. Sondern in die Öffentlichkeit zu gehen, auf die Straße, und den Betrachter dort zu finden. In der Zusammenarbeit mit Felicity Brown hat Caro Kropff begonnen, auf Stoff zu malen – „Ich bin ja Schneiderin, habe mit Stoff gearbeitet. Aber auf Stoff zu malen, die Idee ist mir gar nicht gekommen. Ich konnte die Malerei und das arbeiten mit Stoffen plötzlich verbinden.“
In all diesen Geschichten wird deutlich, wie wichtig der Austausch ist. Es geht auch darum, aus der Einsamkeit des Ateliers zu entfliehen und die Konfrontation zu suchen, die nicht unbedingt nur der Betrachter sein muss. Sondern auch eine andere Künstler*in sein kann, mit der eine gemeinsame Arbeit entsteht. Carolin Kropff interessiert sich für die Idee, das man gemeinsam viel größer denken kann, als wenn man alleine ist. Dass man ganz woanders hinkommt, wenn man sich auf Gemeinschaft einlässt.
Gutes Schlusswort. Connecting fasst alles zusammen. Oder auch co-laborare – zusammen arbeiten. Womit wir wieder beim MACHEN sind.
Fast vergessen – heute ganz zum Schluss: Was bedeutet für Dich Erfolg?
„Für mich ist Erfolg, wenn ich es schaffe, jemanden mitzunehmen. Wenn ich es schaffe, weiter zu geben, dass Kreativität ein Ausdruck von Lebensfreude ist und mein Gegenüber sich dann traut, selbst kreativ zu werden.“
Das Interview führen wir in Oberrad, nahe den Grüne Soße-Feldern. Zwischen Frankfurt und Offenbach. Grit Weber arbeitet in Frankfurt, wohnt in Offenbach. Was findet sie so besonders an diesem Ort, den sie täglich auf ihrem Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad durchquert?
Hier kreuzt sich Städtisches mit Ländlichem. Hier kann man nachvollziehen, wie früher stadtnahe Gärten zur Versorgung der Bevölkerung dienten. „Ein Anachronismus, der fast noch wie im 19. Jahrhundert anmutet.“ Im Ballungsgebiet Rhein-Main, wo ein großer Druck auf die Vermarktung von Flächen herrscht, ist das sicher eine Besonderheit. Die Grüne Soße-Felder tragen aber auch zum Selbstverständnis von Frankfurt und Offenbach bei. „Städte sind nicht nur eine Summe von Einzelheiten, sondern haben immer auch einen kommunalen Geist. Dieser Geist ist nicht nur immateriell, er muss auch eine lokale Verankerung, einen Ort finden.“
Wie fast immer mit Grit Weber sind wir bald mitten in einem kulturanthropologischen Diskurs. Und haben den Bogen gespannt zu ihrem Studium: Kunstgeschichte, Kulturanthropologie und Kunstpädagogik.
An der Kulturanthropologie interessiert sie die Perspektive, die sich aus der soziologischen und ethnologischen Forschung speist. „Ich habe zum Beispiel verstanden, wie grundlegend Herkunft für die eigene Biografie ist. Und dass man mit Herkunft produktiv umgehen kann.“
Grit ist in Dresden geboren und aufgewachsen und hat dort bis 1991 gelebt. Beide Eltern kommen aus eher einfachen Verhältnissen, aber es war für beide immer selbstverständlich ins Theater, in Konzerte zu gehen oder in die Gemäldegalerie. „So haben meine Schwestern und ich einen ganz selbstverständlichen, alltäglichen Zugang zur Kultur bekommen ohne bildungsbürgerlichen Druck.“
Grit Weber ist seit fünf Jahren stellvertretende Direktorin und Kuratorin für Design, Kunst und Medien im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt. Was bedeutet das kulturanthropologische Verständnis für ihre jetzige Tätigkeit?
Inwiefern beeinflusst ihr Denken den Umgang mit den Designexponaten im Museum? „Schon stark. Ich denke eher in Prozessen und glaube, dass Festschreibungen nur temporär sind.“ Also nicht in Dingen? Wenn ich Design höre, denke ich zunächst an einen Gegenstand... „Genau. Darin manifestiert sich viel, aber ein Gegenstand kann immer auch mehrere Erzählungen haben. Design ausschließlich formalästhetisch zu betrachten wäre sehr langweilig und entspricht nicht seinem Wesen. Design hat immer auch einen Produktionszusammenhang, ist eine Ware, wird benutzt, und auch wieder entsorgt. Es gibt Nutzungskaskaden von Objekten und vielfältige Bedeutungen. Das finde ich interessant, den dynamischen Aspekt.“
Zu ihren Verantwortlichkeiten im Museum gehört auch der Bereich Provenienzforschung. Die Aufgabe eines Museums ist sammeln, forschen, bewahren und vermitteln. „Im Fall der Provenienzforschung entsteht ein Konflikt zwischen dem Sammeln und dem Forschen – aber nicht zwischen dem Forschen und dem Vermitteln.“ Das Ergebnis der Forschung kann dazu führen, dass Objekte restituiert, also aus der Sammlung heraus genommen werden müssen. Bevor man ein Konvolut restituieren muss, kann gemeinsam mit der Provenienzforscherin eine Ausstellung oder Veranstaltung dazu organisiert werden. „Aktuell gibt es eine neue Qualität von musealem Umgang, der den Schwerpunkt weniger auf das materielle ‚haben wollen’ legt, sondern eher auf das immaterielle ‚wissen wollen‘.“
Grit Weber ist seit drei Semestern Lehrbeauftragte für Design- und Kulturgeschichte an der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden und hat vor ihrer Tätigkeit im Museum freiberuflich als Kuratorin und Journalistin gearbeitet und für verschiedene Kunstzeitschriften geschrieben, u.a. das Kunstbulletin aus der Schweiz. Aber vor allem hat sie viele Jahre als Chefredakteurin für das art kaleidoscope in Frankfurt gearbeitet. Was hat sie an dieser Aufgabe gereizt? „Das art kaleidoscope ist eine lokale Kunstzeitung, ein Format innerhalb dessen viel möglich ist. Ein Anlass, mit vielen Leuten zu sprechen und sich mit einer Vielzahl von Themen zu beschäftigen. Eine Aufgabe, die Türen öffnet zu Ateliers und Sammlungsbeständen in Depots, die zunächst nicht öffentlich sind.“ In den zehn Jahren ihrer Tätigkeit für das art kaleidoscope hat Grit Weber die gesamte Kulturszene Rhein Main durchpflügt, hat über die Werke zeitgenössischer Künstler*innen und über kulturhistorische Ausstellungen geschrieben – und sich ein großes Netzwerk aufgebaut.
Was bedeutet für Dich Erfolg? „Erfolg ist für mich sehr persönlich. Aus der eigenen Motivation heraus viel von dem zu erreichen, was man sich vorgestellt hat. Erfolg ist ein Prozess. Ein einziges Lebensziel wäre mir zu groß.“ Aber Erfolg ist auch eine individuelle Deutung – ist es öffentlicher Erfolg? Ein allgemein anerkannter Erfolg?
„Ich habe auch zehn Jahre einen handwerklichen Beruf ausgeübt und diesen Beruf immer wieder gerne gemacht. Das ist Erfolg.“ In ihrem Beruf als Zahntechnikerin hat Grit Weber eine unglaubliche Präzision gelernt, die sie bis heute auszumachen scheint und die vielleicht auch ihr Denken bestimmt: Die Präzision, mit der sie einen Gedanken aufgreift und weiter verfolgt. Oder wenn sie davon spricht, wie sie auf ihrem Balkon eine Rose geschnitten hat. All das ist mit einer unglaublichen Konzentration verbunden.
Warum Zahntechnik? In dem Umfeld, in dem Grit aufgewachsen ist, war es im Alter von 15 üblich, eine Vorstellung von seinem künftigen Beruf zu haben. Da ist man noch sehr jung. „Mein Vater hat gesagt, je akademischer ausgebildet, desto näher kommt man dem politischen System der DDR. Bleib unauffällig, mach was Handwerkliches, halte Dich fern von den Machtstrukturen.“ Jetzt ist Grit in einer Position, in der sie eine (kultur-) politische Haltung haben muss. „Ich reflektiere natürlich meine Herkunft, bewerte meine eigene Geschichte immer wieder neu. Meine Eltern waren ja nicht unpolitisch, sie haben sich nur nicht öffentlich geäußert. Unter den jetzigen Bedingungen ist diese Haltung für mich überhaupt nicht erstrebenswert.“
Und die nächsten Ziele? Unter anderem zwei sehr interessante Ausstellungsprojekte, die es zu konzipieren und realisieren gilt. Auf die sich Grit Weber sehr freut, weil sie sehr durch ihr Denken und ihre Arbeit geprägt sein werden. Bei einem dieser Projekte wird es um das Thema Handwerk gehen. Ein persönliches Thema, und ihr Anliegen, aus der aktuellen Perspektive einen neuen Blick darauf zu werfen. Die Ausstellung soll auch die Felder Design und Handwerk, Produktion und Gesellschaft miteinander verbinden und die Wechselbeziehungen in den Vordergrund stellen. Eben die Zwischenfelder, für die sich Grit interessiert.
Zum Schluss möchte ich den Bogen spannen zurück zur Grünen Soße und überlege, ob die Oberräder Felder nicht auch Zwischenfelder sind, Dinge zueinander in Beziehung setzen... Wie und wann ist Grit Weber nach Frankfurt gekommen? Aus Zufall. Wie (fast) alle. Gefällt es Dir hier?
„Ich bin der Arbeit wegen von Dresden nach Wiesbaden gekommen, und aus Neugier. Dann habe ich in Frankfurt studiert und gearbeitet. Frankfurt ist struppig, rätselhaft, disruptiv.“ Disruptiv? Disruptives Denken meint ein Denken in grundlegenden Veränderungen und radikalen Perspektivwechseln. „Innerhalb von Widersprüchen kann es ein gutes und richtiges Leben geben. Es muss nicht immer alles in einer harmonischen Beziehung zueinanderstehen.“
Und mir gefällt Grits Denken und ihre Ausdrucksweise. Am Ende entscheiden wir uns doch für ein anderes Fotomotiv: Nicht für die Gewächshäuser und die Felder mit den Kräutern der Grünen Soße, Frankfurts Hochhaustürme im Hintergrund. Sondern für die Fassadendekoration eines Handwerkunternehmens.
Update 2022
Die Ausstellung Mythos Handwerk wurde im April 2022 im Museum Angewandte Kunst eröffnet – und ist sehenswert!
www.faz.net/aktuell/rhein-main/kultur/museum-angewandte-kunst-in-frankfurt-mythos-handwerk
Das Fotoshooting haben wir schon vor einiger Zeit gemacht. Im Schauspiel Frankfurt, in der Panorama Bar. Ein großartiger Ort, auf den Scheiben des transparenten Kubus flirren die Fassaden, über uns das metallene Wolkenmeer, draußen die Stadt. Dann kam Corona über uns und über die gesamte Kulturszene Frankfurts. Wir führen das Interview online, unterhalten uns von Homeoffice zu Homeoffice. Das geht gut, denn wir kennen uns seit knapp zwei Jahren und sind schnell mitten im Gespräch.
Darüber sind wir uns einig. Und stellen fest, dass unsere erste Kooperation bereits in die Wege geleitet wurde, bevor wir uns persönlich kennengelernt haben. Für die Finissage der Ausstellung Damenwahl! 100 Jahre Frauenwahlrecht im Historischen Museum haben der Frankfurter Kranz und das Schauspiel Frankfurt gemeinsam einen Salonabend mit historischen Gästen konzipiert. Die Idee war da, ich war auf der Suche nach einer Kooperation mit Schauspielerinnen, und mein Frankfurter Netzwerk hat mir Christina Lutz zugespielt.
Hauptberuflich arbeitet Christina Lutz am Schauspiel Frankfurt. Als Referentin der künstlerischen Betriebsdirektion und Verantwortliche für Gastspiele und Sonderveranstaltungen. Dabei ist sie sowohl für Produktionen, die in das Haus eingeladen werden zuständig, als auch für Gastspiele des Schauspiel Frankfurt in anderen Städten. Zusätzlich betreut sie Stiftungen, die langfristig angelegte Projekte des Hauses finanzieren, recherchiert und akquiriert aber auch Drittmittelförderer für Gastspiele und Sonderveranstaltungen. Die künstlerische Betriebsdirektion ist verantwortlich für die Koordination aller finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen – Voraussetzung dafür, dass ein Theaterstück aufgeführt werden kann. Ein Theater ist ein großer Betrieb, Christina nennt ihn eine Stadt in der Stadt. „Alles muss genau passen. Wenn ein Zahnrad nicht ins andere läuft hakt die gesamte Jahresplanung.“ Das künstlerische Betriebsbüro ist der organisatorische Koordinator eines großen Teams aus Dramaturgie, Presse und Marketing, technischen Abteilungen wie Bühnentechnik, Ton und Beleuchtung und Werkstätten: Schreinerei, Schlosserei, Maske, Gewand. Die Metapher einer Stadt gefällt mir. Das öffentliche Leben in der Stadt entspricht der Bühne, im Hintergrund sorgen Fabriken, Werkstätten und Verwaltung dafür, dass alles läuft.
Aber wir möchten nicht nur über das Schauspiel sprechen. Wie ist Christina Lutz zum Theater gekommen? Christina Lutz hat Schulmusik an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt studiert. Hauptfach Klarinette und Schwerpunkt Chorleitung. Nach Praktika beim Ensemble Modern und an den Münchner Kammerspielen war klar, dass sie am Theater arbeiten will. Nach dem erfolgreich abgeschlossenen Schulmusikstudium studierte sie Theater- und Orchestermanagement, ebenfalls an der HfMdK Frankfurt. Es folgten Engagements in München (Münchner Kammerspiele) und Bochum (Schauspielhaus Bochum). Jetzt, in Frankfurt, hat sie erstmals die Gelegenheit auch eigene Projekte zu realisieren. Von der Musik zum Theater. Man kann sagen, es war ein Quereinstieg. Dennoch gibt es für Christina immer eine Verbindung zur Musik.
Sie vergleicht das Hören eines Textes auf der Bühne mit dem eines Symphonieorchesters: Heraushören von Interpretationen und einzelnen Wendungen in der Stimme. Eine Wahrnehmung, die sehr stark geprägt ist durch das Gehör. Christina Lutz konzipiert am Schauspiel Frankfurt aber auch eigene Stücke, zusammen mit der Schauspielerin Katharina Bach, und setzt sie um. Zum Jubiläumsjahr Hundert Jahre Frauenwahlrecht hat sie in den Kammerspielen gemeinsam mit Katharina Bach und Judith Kurz einen Tony-Sender-Abend inszeniert. Eine szenische Lesung mit fünf Schauspieler*innen über eine Frau, die in Vergessenheit geraten ist.
Es folgte eine szenische performative Lesung, konzipiert ebenfalls mit Katharina Bach, mit vier Schauspieler*innen zum Stonewall-Aufstand in New York. Der Abend zu der Geschichte des Christopher Street Day schildert die Ursprünge in New York, spannt den Bogen nach Frankfurt, bezieht historisches Filmmaterial sowie Interviews und zeitgenössische Texte mit ein. Entstanden ist eine Collage zu der Frage: Wo stehen wir heute?
Christina Lutz möchte gesellschaftliche Milieus sichtbar machen, die wenig präsent sind auf deutschen Bühnen. „Es geht auch darum, keine zu Angst haben und Konflikte auszuhalten. Unsere Gesellschaft ist keineswegs so offen und plural wie es scheint.“ Für ihre eigenen Produktionen am Schauspiel hat Christina keine Theaterstücke ausgewählt und umgesetzt. Es sind Zeitstimmen, historische und zeitgenössische Texte. Das ist ein bestimmter Stil. Die Themen, die Christina am Schauspiel initiiert haben zum Ziel, etwas zu entwickeln, das über den Status quo am Theater hinausgeht. Die Auswahl der Texte sucht auch eine Konfrontation mit dem Publikum.
Christina, was heißt für Dich Erfolg? „Erfolg ist eine Gefühlssache. Wenn ich frei bin in meinen Entscheidungen, und am Ende des Projektes mit mir selbst innerlich im Reinen. Mit mir selbst und dem Team.“ Schöne Definition. Christina Lutz liebt die Kooperation, das arbeiten im Team, die Spannungen in einer Gruppe, und das aus dem, was einzelne beitragen, etwas Neues, Ganzes wird.
Der Musik ist Christina immer treu geblieben. Im Schauspiel hat sie einen Chor gegründet. „Wir haben in Frankfurt die Idee des Weihnachtslieder-Auffrischungsseminars aus Bochum übernommen und einen Mitarbeiter*innenchor gegründet.“ Inzwischen probt der Chor das ganze Jahr. „Es macht total viel Spaß, man kann eine sehr intensive Verbindung aufbauen mit der Gruppe. Im Chor kommen alle Abteilungen zusammen: Verwaltungsangestellte, Schauspieler*innen, Bühnentechniker*innen, Azubis.... Alle, die Lust haben, dürfen mitmachen. Und es ist schön zu beobachten wie Leute, die seit Jahren am selben Haus arbeiten, sich endlich auch persönlich kennenlernen.“
Aber das ist immer noch nicht alles. Wir machen langsam den Sprung über das Theater hinaus: Christina macht auch neben ihrer Tätigkeit am Schauspiel weiter Musik. Sie spielt im Uni-Orchester Frankfurt. Klarinette. Zudem spielt sie in unregelmäßigen Abständen in einem Quintett. Und engagiert sich bei DEN VIELEN Frankfurt als Koordinatorin. Und weil das alles noch nicht genug ist, studiert Christina Lutz. Nebenbei. Oder wieder. Politikwissenschaft, Verwaltungswissenschaft und Soziologie. Christina engagiert sich auch kommunalpolitisch, besonders in der Kulturpolitik. „Mich interessiert, wie alles zusammenhängt. Wie Gesellschaft sich verändert, wie Politik, Institutionen und Staat sich entwickelt haben, welche Theorien es gibt. Es entstehen viele neue Fragen. Ich finde, man hat nie ausgelernt.“ Das hilft Strukturen, innerhalb denen man arbeitet, sich bewegt und agiert, mit einem Blick von außen zu hinterfragen und zu durchdringen.
„Auch Veränderung von Strukturen. Deshalb ist Strukturwandel in der Politik, in der Gesellschaft, aber auch in der Verwaltung spannend für mich. Was das Theater betrifft, stellt sich für mich die Frage: Ist das noch zeitgemäß?“ Natürlich ist ein Theater ein riesengroßer Apparat, der klar definierte Verwaltungsstrukturen braucht, um überhaupt zu funktionieren. „Für mich heißt Strukturwandel deshalb nicht nur auf die Verwaltung zu schauen, sondern besonders im künstlerischen Part die Frage nach neuen Wegen zu stellen: Mehr Öffnung zulassen, Teams einsetzen, Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen.“
Transparenz, Offenheit, der Bezug zur Stadt und zur aktuellen Gesellschaftspolitik sind die Themen, die Christina Lutz beschäftigen. Mir scheint in der Panorama Bar sind wir dafür genau am richtigen Ort. Letzte Frage: Neue Projekte in Planung? Am Schauspiel oder außerhalb? Die Antwort lautet: „Themen haben wir!“
Update 2022
Christina Lutz arbeitet nur noch projektbezogen für das Schauspiel und hat dort die Veranstaltungsreihe Transformation(en) – Bühne für eine Gesellschaft ohne Diskriminierung konzipiert. Derzeit ist sie außerdem verantwortlich für die Künstlerische Produktionsleitung des Festivals Politik im Freien Theater, das im Herbst 2022 und dem Motto MACHT in ganz Frankfurt stattfinden wird.
www.mousonturm.de/festivals/politik-im-freien-theater-2022