03.04.2024

Lena Grewenig

Love Erases Nightmare Anchors

Wir treffen uns im LAB 106. Ein von Lena Grewenig konzipierter Raum, eine Plattform für Vernetzung und Vermarktung junger Designer:innen. Magazin und Galerie nennt Lena Grewenig das LAB 106. Den aktuellen Standort in der Schweizer Straße in Sachsenhausen teilen sich rund 20 Künstler:innen, Mode- und Schmuckdesiger:innen. Es herrscht eine wohltuende Fülle, die zum Stöbern und Staunen einlädt, und noch bevor wir mit dem Interview beginnen, haben wir zahlreiche schöne Dinge entdeckt und sind mit den Kolleg:innen, die heute vor Ort sind, im Gespräch.

Für das Fotoshooting hat Lena Grewenig ein schweres Collier aus Silber mitgebracht. Gefertigt aus einzelnen kleinen Stäben, die in zwei Reihen aneinander befestigt sind, kann man es flach wie ein Bild auf dem Tisch inszenieren – ein kleines Gemälde mit weißen und schwarzen Farbspritzern à la Pollock. „Und dann nimmst du es auf und legst es um als Collier…“ Dieses Objekt, Schmuckstück und Kunstwerk zugleich, beinhaltet all das, was Lena Grewenigs künstlerische Arbeit so besonders macht. Lena ist Schmuckdesignerin und Malerin. Und bringt ihr künstlerisches Tun ganz selbstverständlich mit dem von ihr kreierten Schmuck zusammen.

Ich habe immer schon Schmuck gemacht.

Lena Grewenig kommt aus einer Familie von Malern, Schmuckdesignern und Goldschmieden. „Es war immer mein Wunsch, den Schmuck mit meiner Malerei zu verbinden, um so den Blick auf Schmuck zu erweitern.“ Der künstlerische Blick ist ihr wichtig, „weil es so viel zu entdecken gibt im Schmuckbereich“. Dem Objekt – oder Collier – das wir gerade beschrieben haben, liegt ein Geheimnis inne, das man erst in der Benutzung entdeckt.

Meine Schmuckstücke haben mehrere Ebenen.

Oft gibt es einen Aha- Effekt, den man gar nicht erwartet hätte. Das ermöglicht dem Betrachter eine neue, eigene Assoziation zu entwickeln, die über Schmuck und Malerei hinaus geht. Auffällige Colliers, Ohrringe aus Blüten… wertvolle Objekt, die nicht immer im Schmuckkontext verhaftet bleiben, auch als Kunstwerk betrachtet werden können.

Aber zunächst ist Lena Grewenig nicht Goldschmiedin geworden, sondern hat sich für ein Studium der Bildenden Kunst entschieden. In Kassel und schließlich an der Städelschule in Frankfurt bei Christa Näher und Monika Baer. Zwei Jahre nach ihrem Abschluss als Meisterschülerin an der Städelschule entstand der Wunsch, sich noch weiterentwickeln und andere Medien auszuprobieren. „Ich hatte verschiedene Ideen im Kopf… mich intensiver mit Schmuck zu beschäftigen, war naheliegend – Schmuckdesign ist eine künstlerische Arbeit, bringt aber auch wissenschaftliche oder technische Aspekte mit. Und ich wollte auch die Techniken des Goldschmiedehandwerks lernen.“

Schmuck hatte immer schon etwas Archaisches.

„Schmuckstücke waren unter den ersten Kunstwerken, die Menschen erschaffen haben und bei sich trugen. Als Reliquien z. B. oder sei es einfach, um sich selbst zu schmücken. Man trägt Schmuck, um auf sich aufmerksam zu machen oder sich zu dekorieren. Ein Schmuck-Objekt hat meist auch eine symbolische Bedeutung. Mit diesen ikonologischen, semantischen und symbolischen Aspekten kann man wunderbar experimentieren und künstlerisch arbeiten. Was mir besonders gefällt, ist, dass Schmuck etwas sehr Spielerisches hat, das sich unmittelbar auf den Körper bezieht, zu ihm Bezug nimmt und mit ihm in einen Dialog tritt.“

Auch Lena Grewenigs künstlerische Arbeiten auf Leinwand und ihre Zeichnungen haben etwas spielerisches. Es gibt durchaus eine ästhetische Nähe zu ihrem Schmuck, auch in der Farbigkeit und im zeichnerischen Detail.

Ich möchte Malerei, Zeichnung und Schmuckdesign stärker miteinander verbinden.

In ihrer Schmuck-Kollektion gehören zu Ring oder Halskette oft filigrane Zeichnungen auf Aquarellpapier. „Ich nenne sie Schmuck-Zeichnungen oder auch einfach Jewelry-Paintings. Anstatt mit dem Pinsel die Aquarellfarbe auf das Papier aufzutragen, wird das Schmuckstück in die Farbe getunkt und über das Blatt gezogen oder einfach nur aufgelegt.“ Kunde oder Kundin bekommen auch die Zeichnung, ein in Schattenbild des Schmuckstücks. Und in diesem Schattenbild lässt sich vieles sehen: Striche, Linien, Regentropfen oder eine abstrakte Komposition. Auch hier verschmilzt die Malerei mit dem Schmuckdesign. Es ist genau diese Lockerheit und Verspieltheit, die ihren Arbeiten diese ungewöhnliche Besonderheit verleihen. "Schmuckstücke waren immer um mich herum. Aber ich wollte damit auch spielerisch umzugehen, um Neues zu entdecken."

Mittels der Kunst versucht Lena die Objekte in einen anderen Kontext zu setzen. Legt eine Designerin sehr viel Wert auf Form, Technik und Produktion, hat Lena Grewenig eine eher narrative Herangehensweise. „Ich habe ein Thema und versuche, das künstlerisch poetisch darzustellen. Die Schraffur, die ich bei den Jewelry-Paintings auf dem Blatt hinterlasse, übersetzt die Linien, die wir mit Ketten und Ringen auf unserer Haut kreieren, wenn wir Schmuck tragen.“

Wie den Pinsel für meine Malerei, nutze ich die Werkzeuge der Goldschmiedetechnik, um Schmuck zu gestalten.

Thema Blüten. Wir haben Ohrringe angesehen, deren Basis Blütenblätter sind. Was interessiert Lena am Material Blüten, das im Gegensatz zu Gold unglaublich filigran und vergänglich ist? „Ich lasse mich von Landschaft und Natur inspirieren, von der Farbigkeit und dem Formenreichtum. Blüten scheinen mir wie kleine Edelsteine. Ich habe viele verschiedene Blüten gesammelt und getrocknet, um die Strukturen der Blütenblätter zu beobachten.“

Ich möchte die Blüten wie Edelsteine darstellen.

Love Erases Nightmare Anchors hat Lena Grewenig ihr Schmucklabel getauft. Die jeweils ersten Buchstaben der Wörter ergeben ihren Vornamen. Entstanden ist der Name während eines abendlichen Würfelspiels in einer venezianischen Bar.

Zurück zum LAB 106, dem Laden in der Schweizer Straße, in dem wir das Interview führen. Ein Kind der Corona Zeit. Die Suche nach einem Schaufenster, um den Kontakt zum Publikum nicht zu verlieren. Den Anfang bildete eine Rauminstallation vor zwei Jahren in einer Galerie in der Fahrgasse, in der die Wände von ihr und einer Freundin und Kollegin mit Goldfolie beklebt wurden: „Das war sehr auffällig, und dadurch kam die Presse auf uns zu.“ Und die Stadt Frankfurt. Und die Möglichkeit, ein freies Ladenlokal im Shoppingcenter MyZeil zu bespielen. Ein komplexer, ungewöhnlicher Ort für alternative künstlerische Ansätze wie die des LAB 106. Aber das Motto war dann: „Nichts zu machen ist auch Quatsch, und Bewegung ist immer gut. Und je größer die Kontraste, desto spannender.“

Man muss ein gewisses Risiko eingehen, wenn man sich weiterentwickeln will.

„Das Projekt hat mich einfach überrollt, ich wusste gar nicht, was auf mich zukommt. Es galt neue Aufgaben zu bewältigen, mit vielen Kolleg:innen zu kommunizieren, Unterstützung zu finden. Im Prinzip ein Fulltime-Job… Und die Frage: Auf welche Basis möchte man solch ein Projekt stellen? „Ich würde LAB 106 gerne so belassen, beweglich bleiben und als kreatives künstlerisches Projekt weiterführen. Designshops gibt es genug, finde ich.“

Derzeit beschäftigt sich Lena auch theoretisch mit der Wechselbeziehung zwischen Schmuck und bildender Kunst. Und hat entdeckt, dass sehr viele Künstler auch Schmuckentwürfe hinterlassen, viele wurden auch produziert. Aber nur wenige Künstler:innen haben die handwerkliche Kompetenz, ihre Entwürfe tatsächlich selbst umzusetzen, so wie Lena Grewenig.

Die folgende Frage zieht sich durch unsere Interviews: Was ist für dich Erfolg, was bedeutet das für dich? „Erfolg ist, wenn ich meine Energie mit meinem Berufsleben so verbunden habe, dass ich jeden Tag mit einem Lächeln aufwache. Das kann wunderschön sein.“

Ein schöner Satz. Diese Liebe und Verbundenheit spürt man in Lena Grewenigs Werken.

www.lenagrewenig-jewels.com/

www.lena-grewenig.de/

 

Miriam Schulte

Frankfurt-Berlin-Frankfurt oder die Liebe zum urbanen Leben

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Bureau Mitte

Über die Wertigkeit von Material