Der Projektraum Orbit24, zugleich das Atelier von Eva Weingärtner und DeDe Handon, liegt hoch über Frankfurt-Fechenheim in der Orber Str. 24. Ein Openspace mit großer Fensterfront und einer leicht erhöhten Küchenbar. Dazu zwei Arbeitsräume, die auch für Ausstellungen genutzt werden können. Wir treten auf die umlaufende Terrasse, gucken in den Himmel und sind mitten im Gespräch - über die Verstrickung der rechten und der linken Gehirnhälfte oder darüber, warum man beim stricken so gut zuhören kann. Das ist ein schöner Anfang.
Der Name Orbit hat sich aufgedrängt. Ein Penthouse ganz oben auf dem einzigen Hochhaus weit und breit, inmitten eines Industriegebiets. Da ist man dem Himmel am nächsten. Das gemeinsame Atelier war für Eva Weingärtner und DeDe Handon mit dem Wunsch verbunden, nicht nur die jeweils eigenen Arbeiten zu verfolgen, sondern sich auch mit Themen auseinanderzusetzen die beide interessieren. Gemeinsam auf Themen schauen – und das am besten von außen, von oben. Auch dafür steht Orbit.
Das dieser Ort der Projekt- und Arbeitsraum Eva Weingärtner und DeDe Handon werden wird, war schon während der ersten Besichtigung klar. Alles passte gut zusammen. Aber der Projektgedanke musste reifen: Was ist möglich an diesem Ort, können hier zwei Künstlerinnen jeweils ihrer eigenen Arbeit nachgehen und zugleich die gemeinsame Idee in Form bringen?
Orbit24 nicht einfach nur ein Ausstellungsraum, der organisiert werden muss und Eva und DeDe begreifen sich keinesfalls als Kuratorinnen. Orbit 24 ist mehr – ein gemeinsames künstlerisches Projekt. Jede der beiden Künstlerinnen hat ihre künstlerische Autonomie und Identität selbstverständlich beibehalten. Dennoch ist im Laufe des ersten Jahres zu den Veranstaltungen, die beide in ihrem Raum initiieren, eine neue Ebene hinzugekommen: Eva Weingärtner und DeDe Handon arbeiten jetzt auch künstlerisch zusammen. Als Duo. Und beide wollen das auch weiter verfolgen.
Eva Weingärtner hat an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach studiert und setzt sich in ihren Videoperformances meist mit sich selbst und dem (eigenen) Körper auseinander. In jüngster Zeit begibt sie sich auf die Suche nach Gesichtern des Unbewussten: Schreibt Texte, fotografiert und fügt diese Elemente, zusammen mit bestehenden Videoperformances, zu Installationen zusammen.
Im Orbit findet einmal in der Woche ein Performanceworkshop statt, den Eva Weingartner leitet. „Wir setzen uns damit auseinander, wie man über das Medium Performance einen anderen Blick auf die Kreativität bekommen kann.“ Dabei geht es weniger darum, ein künstlerisches Werk zu schaffen, sondern eine neue Form zu finden, um sich auszudrücken. Performancekurse gibt sie seit vielen Jahren, und hat auch an verschiedenen Hochschulen gelehrt, zuletzt in Saarbrücken. Dabei versucht sie immer Orte zu finden, an denen sie präsentieren kann, was sie mit den Gruppen erarbeitet hat. Orbit macht es möglich, diese Kurse eigenverantwortlich anzubieten.
DeDe hat an HBK Braunschweig Malerei studiert. Die Collage ist eine Technik, mit der sie sich derzeit besonders gut ausdrücken kann. Mit Collagen untersucht sie die zeitlichen Bedingungen unter denen sie sich in dieser Welt bewegt. „Ich beschäftige mich auch mit der Flut von Bildern, da spreche ich nicht nur von gemalten Bildern oder Fotos – jetzt im Moment mache ich ja ein Bild, gucke Euch an oder schaue hinaus. Das verortet sich in unserem Kopf.“ DeDe beschäftigt sich damit, welche Teile eines Bildes in Erinnerung bleiben, wie wir das Gesehene verarbeiten und welche Konstrukte dabei entstehen, und sie untersucht in ihren Collagen Verknüpfungen mit dem Gehirn und Strukturen der Synapsenbildung.
Hat dieser Ort, als Raum, in irgendeiner Form die künstlerische Arbeit beeinflusst, verändert, sind neue Themen entstanden? Die Hanauer Landstrasse, die Bahnstrecke, und Flugzeuge die in einer Zweierformation vorbei fliegen – eine Bewegung, die an der Scheibe vorbeizieht und einen gedanklich mitnimmt. Die Weite. An einer Mauer bleiben die Gedanken stecken aber wenn man von hoch oben auf das Leben schaut können sie sich viel freier entwickeln. Das definiert DeDe Handon als Spiritualität. Ein Gefühl für das große Ganze zu bekommen. Wenn der Sturm peitscht oder die Wolken vorüberziehen erliegt man verschiedenen Zuständen. Immer verändert sich etwas, immer ist was in Bewegung.
Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Themen, für die sich beide Künstlerinnen interessieren, z. B. (Welt-) Raum und Unendlichkeit, was sicher mit der Lage hoch oben in den Wolken zu tun hat. Aber auch Spiritualität und vor allem der menschliche Körper. Aber sie einfach zu benennen erklärt nicht die zentrale gemeinsame Ausrichtung. Die Geisteshaltung ist das wichtigste, das beide Künstlerinnen verbindet: Offenheit und ein kritischer Blick auf die Welt, Neugier und der Wille, die Dinge differenziert zu betrachten.
Das gemeinsame Projekt Orbit24 bietet den Visualisierungen dieser Themen einen Raum. Ein Anliegen von Orbit ist auch, Künstler*innen und Theoretiker*innen zusammen zu bringen, um Themen mit unterschiedlichen künstlerischen Medien und von verschiedenen Seiten (wissenschaftlich, künstlerisch, theologisch etc.) zu beleuchten. Veranstaltungen, die sich aus der Kunstszene heraus bewegen, und ein bunt gemischtes Publikum das sich aus den verschiedenen Netzwerken rekrutiert. Das finden beide spannend. Auch die Barabende begreifen DeDe und Eva als Teil ihres künstlerischen Projektes: vernetzen, miteinander sein. Auch ohne immer über das Thema Kunst zu sprechen oder über Arbeiten, die im Raum präsent sind. Wichtige Gedanken zu Beginn der gemeinsamen Arbeit waren Fragen wie: „Welche Möglichkeiten haben wir, was können wir hier umsetzen? Was können wir anderen bieten, was mit ihnen gemeinsam machen?“
Eva erinnert sich an ehemalige Ateliers die dazu dienten Arbeiten aufzubauen oder Dreck zu machen, aber immer klein waren oder kalt. Ateliers die sie zum arbeiten kaum genutzt hat weil es zu Hause angenehmer war. Da erschließt sich der Sinn eines Ateliers freilich nicht. Im Orbit24 bedeutet Atelier plötzlich Arbeit mit anderen Menschen, mit der Kunst, und das in einem freien und weit gefassten Sinn.
Es gibt Momente, in denen Eva und DeDe wage um eine Idee kreisen, und dann wird plötzlich ein Thema von außen an sie herangetragen. Es erscheint im Orbit und beiden rufen „Das wollten wir doch schon immer mal machen!“ Das ist der Punkt, an dem ein Thema zum Projekt wird. Dann haben beide das Gefühl, dass alles zusammen gehört: Was man von seinem Leben will oder was man künstlerisch ausdrücken möchte und was im Orbit24 passieren soll.
Was bedeutet für Euch Erfolg?
Eva: Früher war für mich Erfolg bekannt zu sein, das tun zu können, was ich will, auf der finanziellen Basis, die sich durch den Erfolg einstellt. Ein Stern, der leuchtet – das war für mich Erfolg.
Das hat sich in den letzten Jahren radikal gerändert. Heute ist für mich Erfolg, wenn man es geschafft hat, alles auszubalancieren, sich selbst anzunehmen, Raum zu lassen für Lebensqualität, und für das, was Freude macht. Wenn man die Ideale oder die Gedanken über das Leben für die man einsteht beruflich umsetzen kann. Das ist für mich Erfolg.
DeDe: Der Erfolgsgedanke ist wandelbar. Das hat sich in meinem Leben aufgrund von verschiedenen Erfahrungen und zunehmenden Alter verändert. Inmitten der vielen verschiedenen Dinge die einen im Leben begleiten und einem stetigen Wandel unterworfen sind bei sich selbst zu bleiben. Vielleicht authentisch zu bleiben, sich nicht verbiegen zu müssen. Wenn ich das schaffe, dann habe ich Erfolg. Das bezieht sich auf das gesamte Leben, man kann Erfolg nicht nur auf der beruflichen Ebene verankern.
Wobei die künstlerische Arbeit eine besondere Situation ist, weil man die berufliche Tätigkeit und die eigene Person viel weniger streng voneinander trennen kann.