Wir treffen uns in einem roten Café. Beim Blick durch die Kamera wird das Café zu einem zweidimensionalen Raum und offenbart seine linearen, grafischen Elemente. Sophie Dobrigkeit ist Inhaberin der Agentur Dobrigkeit Design. Aber neben Corporate Design und Strategie gibt es noch Ougrapo, die Werkstatt für potentielles Grafikdesign, und das grasp atelier für Grafik und Sprache. Und den DDC Women’s Table. Aber der Reihe nach. Wir fangen von hinten an: Deutscher Design Club, Women of DDC. Du bist zusammen mit Judith Augustin Host des Women’s Table. Was ist das?
„Der DDC Women’s Table bietet Raum für Gespräche über Design, Gesellschaft, Wirtschaft, Weiterbildung und alles, was uns inspiriert.“ Gestartet ist das Format mit Abenden, die wechselnd in Frankfurt und Stuttgart stattfanden. Seit 2020 findet der Women’s Table auch digital statt und hat sich zu einem regelmäßigen Austausch zwischen Designerinnen aus ganz Deutschland entwickelt.“
Chapeau. Es gibt noch ein weiteres Veranstaltungsformat der Women of DDC: Learn and Burn, das Lab for Female Leadership. „Learn and Burn ist ein Mentoring-Format, bei dem nicht nur Berufseinsteigerinnen von erfahrenen Kolleginnen lernen, sondern auch umgekehrt. Wir lernen genauso viel von den Jüngeren! Die Welt verändert sich so schnell. Gerade im Designbereich, Stichwort KI. Man muss sich immer weiterentwickeln. Mit uns wird eine Generation älter, die beweglicher im Kopf bleiben muss und buntere Lebenswege hat.“
Sophie Dobrigkeit lebt und arbeitet heute in Bensheim an der Bergstraße. Sie hat in Offenbach an der Hochschule für Gestaltung studiert und in Paris am ANCT, dem Atelier National de Création Typographique. Es folgte ein Masterstudium am CalArts, California Institute of the Arts. „Ich habe mich während des Studiums besonders für Typografie interessiert, habe aber auch Illustrationen gemacht. In CalArts dann Motion Graphics und Webdesign.
„Letztes Jahr habe ich in Zusammenarbeit mit Ulrike Gauder ein Branding für eine europäische Institution entworfen; drei umfangreiche Messeevents und Konferenzen in Paris, Berlin und Helsinki. Von der Konzeption über die Gestaltung von Print- und Webmedien, Videoanimationen und Standdesign bis hin zur Social-Media-Kampagne. Das macht mir besonders Spaß – ein Konzept in vielen verschiedenen Größen und Formen zu denken.“ Wie ist dein Büro strukturiert, hast du feste Mitarbeiterinnen? „Mein Büro bin zunächst ich. Aber ich arbeite fast immer mit anderen zusammen. Es ist viel fruchtbarer und interessanter zu zweit, zu dritt oder im Team zu arbeiten.”
Zum Engagement im Deutschen Design Club und dem klassischen Tagesgeschäft als Grafikdesignerin kommen 15 Jahre Lehre an der Hochschule in Mainz und verschiedene Gastprofessuren. „Immer mal wieder mal, das war schön.”
Und dann sind da noch die freien Projekte, zum Beispiel Ougrapo, Werkstatt für potentielles Grafikdesign. Was muss man sich darunter vorstellen? „Ougrapo ist eine Werkstatt für ‚Design nach Regeln‘. Zusammen mit Ulrike Gauder und Sigrid Ortwein sind wir eine Gruppe von Grafikdesignerinnen, die Regeln und Methoden für Gestaltung sucht, erfindet, sammelt, ausprobiert und anwendet. Die Idee ist geklaut: Ougrapo überträgt die Arbeitsweise von Oulipo (Ouvroir de littérature potentielle) auf den Bereich des Grafikdesign.“
Die Idee entstand während ihrer Masterarbeit in Los Angeles. Sophie wollte etwas schaffen, das sie ein Leben lang begleitet und ihr die Möglichkeit gibt, neben dem normalen Berufsalltag immer wieder gemeinsam mit anderen zu experimentieren. Bei ihren Recherchen stieß sie schließlich auf die seit 50 Jahren bestehende Künstlergruppe Oulipo. Die Idee ist einfach: Man setzt sich Regeln oder Einschränkungen und benutzt diese, um kreative Freiräume zu eröffnen.
Gegenfrage: Ist man wirklich kreativ, nur weil man Regeln bricht? „Im Prinzip ist jedes Gedicht eine Regel: es muss sich reimen. Damit gibt man dem Text eine formale Einschränkung. Der Roman ohne E ist ein Text, in dem kein E vorkommen darf. Das ist wahnsinnig im Französischen, aber Oulipo hat es geschafft.“ Ein Mathematiker und ein Literat verbergen sich ursprünglich hinter dem Namen Oulipo und bezeichnen ihr System als formale Literatur. Auch Ougrapo arbeitet ähnlich, sucht Regeln, Bilder, überlässt manches dem Zufall. Das Ergebnis ist oft überraschend.
„Wir haben einen Briefroman geschrieben. Eine Hauptfigur von Oulipo war Georges Perec. Wir haben Madame Perreq erfunden und sieben weitere Personen, die jeweils sieben Briefe schreiben. Insgesamt 49 Briefe von rund 20 Autor:innen geschrieben. Keiner kannte die Geschichte, alle haben nur auf Briefe geantwortet. Niemand wusste, was am Ende herauskommen würde. Das Ergebnis: eine völlig absurde Geschichte.“ Ein Briefroman, weil ein Brief auch eine grafische Form ist. Neben den Briefen gibt es Postkarten und Illustrationen. Ein Wechselspiel zwischen Text und Grafik.
„Ein weiteres Format von Ougrapo ist das Kochen: Wir haben einen ‚Betriebsausflug‘ gekocht – also je eine Zutat mit B, mit E, mit T, mit R, mit I mit E und so weiter ausgewählt. Das Menü war der Betriebsausflug. Wir lachen uns jedes Mal kaputt, die Ergebnisse sind oft absurd und lustig.“
Aus diesem Grund hat Ougrapo den Picture Wordshop entwickelt, ein Workshop-Format, an dem jeder teilnehmen kann. Das Prinzip ist relativ einfach. Jeder bringt ein Bild mit und jeder schreibt zu jedem Bild jeweils ein Wort und umgekehrt: Jeder zeichnet zu jedem Wort ein Bild. So hat man relativ schnell einen riesigen Fundus an Worten und Bildern. Diese werden immer wieder neu kombiniert und daraus neue Ideen generiert. “Wir haben die Picture Wordshops in ganz unterschiedlichen Formaten umgesetzt, zum Beispiel an der Hochschule in Mainz mit Studierenden, aber auch mit Kund:innen für Namensfindungsprozesse.“
Ein weiteres Projekt: Das grasp atelier, während der Pandemie entstanden. Was muss man sich darunter vorstellen? „Wir haben eine digitale Fortbildungsreihe für Lehrer:innen entwickelt, damit diese den Picture Wordshop mit Schüler:innen an den Schulen umsetzen können. Die Workshops bestehen aus drei Modulen und sind nach wir vor digital abrufbar.“
Zum Schluss kommt unsere Lieblingsfrage: Was ist für dich Erfolg? „Ich habe viel darüber nachgedacht. Was ist das eigentlich? Und gerade in dieser Lebensphase: Hatte ich Erfolg in meinem Leben?
Der Begriff geht zurück auf einen Text der Designhistorikerin Martha Scotford. Sie forscht zu dem Schwerpunkt Frauen und feministische Theorien. Und hat danach gefragt, warum so wenige Frauen in der Designgeschichte vorkommen: Weil ihre Lebenswege so ‚messy‘ sind – unordentlich? ‚Messy History‘ umschreibt, dass die (Erwerbs-) Biografien von Frauen meist sehr komplex sind und nicht einfach zu beschreiben, auch nicht unbedingt chronologisch verlaufen. Sophie Dobrigkeit hat daraus den Begriff ‚Messy Success‘ gemacht.
„Alles zusammen ist dann das, was man als Erfolg erlebt und dazu gehört auch das Privatleben. Ich habe drei Töchter großgezogen.“ Ein weiterer wichtiger Aspekt für Sophie Dobrigkeit: „Erfolg fühlt sich am stärksten an, wenn ich mit anderen etwas gemeinsam mache.“
Wenn eine Verbindung entsteht, ein guter Vibe. Dieses Gefühl, irgendwie weitergekommen zu sein. „Das ist schön. So fühlt sich Erfolg an.“ Eine wunderschöne Definition. Wir reden weiter über Erfolg, über Momente, in denen man mit den Augen der anderen auf Dinge blickt und mit den Ohren der anderen hört, was man selbst sagt. Über die Selbsterweiterung durch die Arbeit im Team und über das unmittelbare Feedback. Erfolg ist nicht linear. Und messy meint eben nicht unordentlich, sondern komplex, stellenweise unübersichtlich. Um einen solchen Lebensweg zu gehen, muss man ziemlich gut strukturiert sein.
www.ddc.de/de/puls/women-of-ddc
mit Judith Augustin
DDC Podcast – Judith Augustin und Sophie Dobrigkeit "Feminismus designen"
www.ougrapo.de
www.picture-wordshop.de
mit Ulrike Gauder und Sigrid Ortwein
www.grasp-ateliers.de
mit Ulrike Gauder und Peter Hauff
Die Herausforderung viele Facetten zu haben und kontinuierlich gute Arbeit zu leisten
Ein Gespräch über flexible Lebensgestaltung, Kommunikation in der Kunst und unsere Verletzlichkeit
Vom Leben und arbeiten in der Gemeinschaft und dem Experiment mit Theater und Tanz