19.08.2019

Greta Gancheva

Wie ein Trafohäuschen das eigene Leben verändern kann (und die ganze Nachbarschaft)

Ein Trafohäuschen voller Graffitis und Plakate. Zwei Türen die man nicht öffnen kann. Genau an der Grenze zwischen Ginnheim und Dornbusch. Greta Gancheva, die seit einigen Jahren in der Platensiedlung wohnt, war sofort fasziniert von diesen Tiny-Haus, von dem keiner wusste wem es gehört und wo die Schlüssel sind. Es wurde zum Auslöser eines Nachbarschaftsprojekts: saloonY.

Das Trafohäuschen provoziert mich schon seit Jahren.

Mit einer Tasche voller Flyer läuft Greta Gancheva im Viertel umher und spricht jeden an. Sie bewirbt die nächste Veranstaltung, eine Buchpräsentation. Zwei Autorinnen und eine Illustratorin, alle drei mit Migrationshintergrund: Mama Superstar ist eine Sammlung alltäglicher Geschichten, erzählt von Töchtern über ihre Mütter, die als Migrantinnen nach Deutschland gekommen sind. Anekdoten, kulturelle Missverständnisse, oder Differenzen, die die Kinder meistern mussten, wenn in der Schule was schief gegangen war. Oder unbekannte Bräuche, wie Weihnachtsgeschenke oder der Nikolaus. „Dinge die für uns selbstverständlich sind, das hat mich sofort sehr berührt. Auch wenn ich mich sehr integriert fühle, habe auch ich sehr viele Anekdoten erlebt, die auf kulturellen Missverständnissen beruhen.“ Die Buchvorstellung nimmt Greta Gancheva als Anstoß für eine Gesprächsrunde, in der Gäste eigene Geschichten erzählen.

saloonY als Idee gibt es seit Mitte Februar. Es gab zwei Auslöser: Das Trafohäuschen, das direkt vor Ihrem Fenster steht. Und eine Ausschreibung der Partnerschaft für Demokratie – ein Kooperationsprojekt des Amtes für multikulturelle Angelegenheiten, der Bildungsstätte Anne Frank und des Frankfurter Jugendrings. Das Motto war Bündnisse und Brücken bauen. „Ich hatte das Gefühl, das Trafohäuschen hat etwas mit diesem Thema zu tun. Was mich beschäftigt hat war: Warum steht es da und wird doch nicht wahrgenommen? Dann habe ich umgekehrt gedacht: Was würde geschehen, wenn alle Nachbarn sich für ein vergessenes Trafohäuschen engagieren würden?“ Heute ist saloonY eine Nachbarschaftsinitiative und ein Verein für interkulturellen und interdisziplinären Austausch. saloonY möchte mit Menschen, Initiativen und anderen Vereinen ein demokratisches Bündnis schließen für eine offene, kreative und liebenswerte Platensiedlung in Frankfurt am Main.

„In kürzester Zeit habe ich unglaublich viele Menschen kennen gelernt. Menschen, denen ich täglich begegnet bin und die ich nicht kannte. Aus der Nachbarschaft, aus Institutionen im Stadtteil, auch viele Menschen der Stadtverwaltung, zum Beispiel vom Grünflächenamt.“ Greta lacht. Viele verwobene Fäden, die vorher unsichtbar waren. Auch eine kleine Grünfläche direkt neben dem Trafohäuschen ist einbezogen und soll eine Mini-Wildblumenwiese werden.

Der vollständige Name des Projekts lautet saloonY – Bündnis für Platenstraße 6 qm und ist wie folgt entstanden: SALOON 60 ist eine Veranstaltungsreihe, die Greta Gancheva in ihrem Wohnzimmer initiiert hat. Kein Literatur-Salon, sondern ein Saloon in den ehemaligen Wohnkasernen der amerikanischen Streitkräfte, in den 50er Jahren erbaut. 60 ist die Hausnummer. Das Grüne Y ist eine Planung der Stadt Frankfurt für eine neue Grünverbindung vom Grüneburgpark über die Grünflächen in Ginnheim und im Dornbusch zum Grüngürtel. Und das Trafohäuschen steht mittendrin!

Das Trafohäuschen ist unser Maskottchen.

Das Projekt ist offen, es gibt keine klar definierten Ziele. Aber zwei wichtige Regeln: Alles soll  vor Ort in der Platensiedlung stattfinden und es sollen niedrigschwellige Kulturangebote sein. Die ersten Ideen hat Greta im Februar zusammengestellt als Grundlage für eine dynamische Skizze die sich jederzeit verändern kann. Langfristig sollen die Ideen nicht von nur einer Person generiert werden, sondern sich aus dem Projekt heraus entwickeln und im Austausch mit den Nachbarn aus der Platensiedlung. Soziokultur. Partizipativ. saloonY hat keinen festen Ort für Veranstaltungen. „saloonY ist ein Nomade. Das gefällt mir, weil wir immer wieder in neuen Konstellationen arbeiten möchten und so eröffnen sich auch neue Räume.“

Greta lebt seit 1993 in Frankfurt, mit 22 Jahren ist sie aus Bulgarien nach Deutschland gekommen. Als Gastarbeiterin mit einem befristeten Vertrag. Ursprünglich wollte sie in der DDR Germanistik zu studieren. 1989, im Jahr des Mauerfalls hat sie Abitur gemacht aber die DDR gab es nicht mehr. Plötzlich war alles anders, ein Riesenbruch. „Ich habe in Bulgarien mit dem Germanistikstudium begonnen. Aber es war sehr schwierig, die Transformationsprozesse haben die Menschen überschwemmt.“ Im Arbeitsamt ihres Heimatortes hat sie nach einer Stelle als Lehrerin gesucht. Dort hing ein Ausgang: In der Bundesrepublik wurden Gastarbeiter gesucht. Für die Gastronomie, den Einzelhandel und vor allem Pflegekräfte. Die Frau, mit der sie das Auswahlgespräch führte, engagierte sie spontan für die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung in Frankfurt. Greta Gancheva sagte zu, unter einer Bedingung: „Wenn ich nach Frankfurt komme, möchte ich dort studieren.“ Sie konnte bereits fließend deutsch. In ihrer Schule unterrichteten Muttersprachler aus der DDR. Sie bezeichnet das als einen der angenehmsten Kulturschocks ihres Lebens: „Ich bin mit 14 Jahren auf das deutschsprachige Gymnasium gekommen und hatte zuvor noch kein Deutsch gelernt. Mein Lehrer war auch gerade angekommen aus Halle-Neustadt und konnte kein Wort bulgarisch. Wir haben uns trotzdem verstanden und das hat uns sehr verbunden. Nach ihm kam ein Lehrer aus Dresden, der uns Brecht vorgelesen hat. All das hat tiefe Spuren in mir hinterlassen.“

Der Vertrag als Gastarbeiterin lief aus, Greta hat einen Studienplatz bekommen und das Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Frankfurt abgeschlossen. 2004 bis 2007 hat sie für das Kulturprogramm des Goethe-Institutes in Sofia gearbeitet, unmittelbar vor dem EU-Beitritt Bulgariens. Danach ist Greta zurückgekehrt nach Frankfurt. „Es gab zu dieser Zeit sehr viele persönliche Veränderungen. In Frankfurt habe ich ein starkes soziales Netzwerk aus Freund*innen, Studien- und ehemaligen Kolleg*innen wiedergefunden. Ich habe Frankfurt privat und beruflich wieder entdeckt.“

Ich bezeichne die Rückkehr nach Frankfurt als meine zweite und bewusste Migration.

„saloonY ist ein weiterer Schritt. Ich habe mich entschlossen hier zu leben, in diesem Viertel.“ Noch läuft das saloonY-Projekt parallel zu ihrem eigentlichen Job. Greta Gancheva arbeitet im Dekanat des Fachbereichs Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt. „Ich finde es sehr beeindruckend, dass ihr freiberuflich agiert. Das erfordert viel Mut und Stabilität. Vielleicht kommt auch für mich eine Wende. Das muss ich noch erkunden.“

Was bedeutet für Greta Erfolg? „Die innere Zufriedenheit. Erfolg ist, bei sich selbst zu bleiben. Bei sich selbst anzukommen.“

Das saloonY Projekt hat für mich etwas mit dem mentalen ankommen zu tun.

Wir machen das Fotoshooting natürlich am Trafohäuschen. Sandra Mann steht mit der Kamera mitten auf der Strasse, im Hintergrund die Bundesbank, Autos rasen vorbei. Greta zieht weiter um Flyer zu verteilen und die kommende Veranstaltung zu bewerben. Die persönliche Ansprache, das funktioniert in der Platensiedlung am besten.

www.saloony.de

 

 

 

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