27.02.2023

Monika Linhard

transparent – farbig – überdimensioniert – ornamental

Zu Besuch bei Monika Linhard in ihrem Atelier auf dem Gelände der Milchsackfabrik im Gutleutviertel. Fünfzehn Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt, fühlt sich das für Frankfurter:innen ziemlich weit draußen an. Über dem Tisch, an dem wir Platz nehmen, baumelt eine fragile schwebende Zwischendecke. Sie erinnert an ein Mobile. Dinge, Objekte oder Materialproben, die Monika Linhard inspirieren, die sie findet, auch in ihrem eigenen Atelier, steigen auf in diese Wolke. “Die Fundstücke liegen herum, ich ziehe sie unter dem Tisch hervor und lege sie dort oben ab.“ Ein Zwischenlager. Formgespräch nennt es die Künstlerin.

Das Gelände der Milchsackfabrik, einigen bekannt durch das Tanzhaus West, gehörte früher dem Erben der Farbenfabrik Dr. C. Milchsack. Seiner Wertschätzung ist es zu verdanken, dass die Milchsackfabrik nicht der Immobilienspekulation zum Opfer fiel. 2019 verkaufte er seine Immobilie an die städtische Konversions-Grundstücksentwicklungsgesellschaft der Stadt Frankfurt (KEG). Kulturgelände und Ateliers konnten erhalten und weiter genutzt werden.

Monika Linhard ist in verschiedenen Verbänden und Initiativen aktiv. Und mit Line Krom und Haike Rausch eine von drei Sprecherinnen für Bildende Kunst der Koalition der Freien Szene Frankfurt: Eine Interessensgemeinschaft freischaffender Künstler:innen aus Bildender Kunst, Musik, Theater, Film und Literatur: www.koalition-freieszeneffm.de. Derzeit führt die Koalition der Freien Szene Gespräche mit den kulturpolitischen Sprecher:innen der Parteien der Römerkoalition. Ziel ist zunächst, über den Berufsalltag im Kulturbetrieb zu informieren.

„Das bildende Künstler:innen auch installativ, ephemer oder partizipativ arbeiten und mit Akustik oder Licht experimentieren – dass ist noch immer erklärungsbedürftig.“

Sachliche Aufklärungs- und Informationsarbeit ist der erste Schritt. Priorität in den Gesprächen hat die Forderung von Ausstellungshonoraren in öffentlich geförderten Institutionen und die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen freischaffender Künstler:innen. „Viele Verantwortliche in der Politik haben keine Vorstellung davon, wie Künstler:innen arbeiten und was sie verdienen und dass mehr als 90 % nicht von ihrer Arbeit leben können. Die Pandemie hat ein bisschen geholfen und die prekäre Situation sichtbar gemacht.“ Brauchten wir wirklich eine Pandemie, um in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Arbeitsbedingungen im Kunstbetrieb zu schaffen?

Inzwischen ist Monika Linhard auf die Leiter gestiegen. Jedes Fundstück auf dem Mobile hat seine eigene Geschichte, auch die grüne Plastiktüte. Monika Linhards Arbeiten sind sehr erzählerisch. Die Frage nach einem der Objekte führt uns auf Umwegen in ein Gespräch zu ihrem Werdegang: „Ich habe einen für Künstlerinnen eher ungewöhnlichen Lebenslauf. Ich habe sehr früh Kinder bekommen.“ Monika Linhard lebte damals in einer gesellschafts- und konsumkritisch orientierten Wohn- und Arbeitsgemeinschaft in einer ehemaligen Brauerei in der Rhön. Neben einem landwirtschaftlichen Betrieb führten die Bewohner:innen auch mehrere Werkstätten, unter anderem für Holzbearbeitung und Bronzeguss. Monika ist gelernte Holzbildhauerin. Erst mit 29 Jahren nahm sie ihr Kunststudium an der Gesamthochschule Kassel auf. „Ich hatte zwei kleine Kinder und musste auch Geld verdienen. Während meines Studiums lebte ich weiterhin in der Rhön, nahm aber an den wöchentlichen Korrekturgesprächen und Seminaren teil.“ In dieser Lebenssituation hat Monika Linhard eine ganz eigene Arbeitsweise gefunden: Listen geführt, Arbeitshefte angelegt und Kriterien entwickelt für die konsequente Selbstbewertung ihrer Arbeiten. „Aber das Wichtigste im Studium passiert beiläufig oder zufällig oder im Austausch mit den anderen Studierenden. Das hat mir sehr gefehlt!"

Künstlernamen, die in unserem Gespräch immer wieder fallen: Louise Bourgeois, Alberto Giacometti, Bruce Naumann, Joseph Beuys. Giacometti erweitert die Figur um den Raum, Beuys bringt das Material zum Sprechen.

„Beuys war für mich sehr wichtig.“

„Wenn man sich darauf einlässt, kann man das Material auch lesen. Man nimmt es in die Hand, man spürt das Gewicht, man fühlt die Oberfläche, man riecht das Material; oder die Lichtverhältnisse verändern sich und man erkennt plötzlich eine ganz andere Struktur.“

„Meine erste Entscheidung als Künstlerin: Nicht mehr figürlich zu arbeiten.“

Das ist eine sehr klare Entscheidung. Und warum? „Ich erkannte, dass alles, was ich anfasse, zu einem Kopf wurde oder zu einer Figur. Das war mir zu fokussiert, zu eng.“ Nach einiger Zeit und nach vielen Experimenten mit verschiedenen Materialien auch die Entscheidung: Holz ist es gar nicht.

Aus persönlichen Gründen ist Monika zu der Beschäftigung mit Alltagsgegenständen gekommen: „Meine Eltern sind sehr früh gestorben und ich habe viele Dinge des täglichen Lebens von ihnen geerbt. Die habe ich nach und nach mit ins Atelier genommen und begonnen, deren Form, Material und Bedeutungsinhalt zu erforschen.“

„Ich wollte nicht formen wie in der Bildhauerei, wegnehmen oder modellieren, sondern die Materialsprache beobachten, wie das Material sich verhält, wie es fällt, sackt, knickt.“

Der frühe Tod der Eltern und das Erbe waren der Anlass, sich mit Alltagsgegenständen zu beschäftigen, diese Geschichte ist aber heute für die künstlerische Arbeit nicht mehr wichtig. „Ich habe analytisch damit gearbeitet.“ Und Fragen gestellt.

„Wie kann ich das Potenzial sichtbar machen, das zu einer künstlerischen Arbeit führt?“

Monika Linhard arbeitet auch als Grafikerin. „Meine Situation war ökonomisch sehr angespannt durch zwei Kinder, ich habe nie geheiratet, mich in keine Versorgungssicherheit hineinbegeben.“ Sie hat beschlossen, sich ein zweites Standbein aufzubauen, Lehrgänge besucht, in Agenturen gearbeitet. Heute arbeitet Monika projektbezogen als Grafikerin im Printbereich. „Ich habe immer versucht, Jobs zu finden, bei denen ich etwas lernen konnte, dass auch meiner künstlerischer Arbeit nützt.“

Wir kommen zu unserer Lieblingsfrage: Was bedeutet für Dich Erfolg? Ein schwieriges Wort, findet Monika Linhard.

„Erfolg ist Anerkennung und Wertschätzung.“

„In unserer Gesellschaft werden ja häufig Geld und Erfolg gleichgesetzt. Das sehe ich differenzierter.“ Aber auch Anerkennung und Wertschöpfung bekommen wir oft in Form von Geld. Ein Spagat, den man immer wieder machen muss. Und auch bei den Forderungen der Koalition der Freien Szene geht es letztendlich um Geld – ganz frei machen können wir uns davon nicht.

Aktuelle Projekte? Woran arbeitet Monika Linhard zurzeit? Soeben ist der erste Band ihres zweiteiligen Werkverzeichnisses im KANN-VERLAG erschienen. „Mein Werkverzeichnis zu erstellen, würde ich schon als Anerkennung meiner selbst verstehen. Es war interessant und überraschend zu sehen, was ich alles gemacht habe.“ Zudem hat Monika Linhard das NEUSTART KULTUR: NEUSTARTplus-Stipendium des Kunstfonds erhalten. Gefördert werden bildende Künstler:innen für einen Zeitraum von sechs Monaten, um ohne wirtschaftliche Einschränkungen an ihrem Werk arbeiten zu können. Monika Linhard wird sich im Rahmen des Stipendiums verstärkt mit dem Thema Licht befassen und den Zusammenhang von Licht, Luft und Thermik künstlerisch untersuchen.

Monika Linhards Arbeit geht deutlich über das skulpturale hinaus, sie schafft große ortsspezifische Installationen im Raum. Auch die grünen Plastikfahnen im Atelier sind Reste von solchen Installationen. Mit der grünen Baufolie werden z. B. Fenster abgeklebt, wenn verputzt oder gestrichen wird. In hauchdünne Schichten übereinandergelegt ergeben sich viele verschiedene Abstufungen von Transparenz. Die Eigenschaften und ästhetische Qualität von Material und Alltagsgegenständen bilden den Ausgangspunkt von Monika Linhards künstlerischer Arbeit. Blättert man durch den ersten Band ihres Werkverzeichnisses, so findet man auf den monochromen Seiten, die die einzelnen Kapitel voneinander trennen, eine Reihe von Begriffen: transparent – farbig – überdimensioniert – ornamental steht da; oder luftig – schweben – schwanken – strömen – hell – thermisch. Zu Beginn ihrer künstlerischen Karriere hatte Monika Linhard in der alten Brauerei in der Rhön sehr, sehr viel Platz und konnte große Räume nutzen:

„Ein Eldorado an Material und Raum.“

Diese Großzügigkeit hat ihr Schaffen geprägt.

www.monikalinhard.de

 

 

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